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ATYPISCHE NEUROLEPTIKA

Wirkstoffe gegen Wahn und Rückzug

von Norbert Müller, Michael Riedel, Hans-Jürgen Möller, München

Neuroleptika stellen seit über vierzig Jahren den wichtigsten Pfeiler in der Behandlung der Schizophrenie dar. Dies gilt sowohl für die Behandlung der akuten Krankheitsphase als auch für die Rezidivprophylaxe. Trotz der unbestreitbaren Effizienz der klassischen Neuroleptika sind sie unter Gesichtspunkten wie Non-response bei Produktivsymptomatik, geringe therapeutische Erfolge bei Negativsymptomatik und Auftreten extrapyramidaler Nebenwirkungen nicht zufriedenstellend. Auch in Anbetracht einer möglicherweise besseren Compliance und Lebensqualität des Patienten sollten atypische Neuroleptika vermehrt eingesetzt werden.

Die Entwicklung der Neuroleptika, auch zunehmend als Antipsychotika bezeichnet, beruht auf einer Zufallsentdeckung. So wurde 1950 Chlorpromazin als Antihistaminikum synthetisiert, ehe die Ärzte Delay und Deniker 1952 seine antipsychotische Wirksamkeit beschrieben (1). Die trizyklischen Neuroleptika leiten sich von den Phenothiazinen ab. Auf der Suche nach narkotisch wirksamen Analgetika entwickelte Paul Janssen 1958 den ersten Vertreter aus der Reihe der Butyrophenone, das Haloperidol (2).

Das unterschiedliche Ansprechen von Positiv- und Negativsymptomen der Schizophrenie auf Pharmaka, die in den Dopamin-Stoffwechsel eingreifen, wurde zur pathophysiologischen Hypothesenbildung herangezogen. Die Dopamin-Hypothese nahm über Jahre hinweg eine zentrale Stellung ein. In den letzten Jahren entwickelte sich jedoch zunehmend eine differenziertere Betrachtungsweise. Inzwischen werden verschiedene Neurtransmittersysteme und deren Interaktionen in komplexen Wechselwirkungen diskutiert. Eine Beteiligung serotonerger, GABAerger, glutamaterger, cholinerger oder peptiderger Neurotransmitter an der Pathophysiologie der Schizophrenie wird angenommen (3).

Ein Fallbeispiel soll eine erfolgreiche Therapie der schizophrenen Positivsymptomatik darstellen.

Produktive Symptome mit Wahn

Ein 25-jähriger, lediger Jurastudent hatte sich seit einem Jahr zunehmend sozial zurückgezogen, wurde gegenüber der Umgebung misstrauisch und fühlte sich von der Polizei verfolgt. Er fühlte sich von seinen Kommilitonen beeinträchtigt und hörte Stimmen, die sein Handeln kommentierten. Darüber hinaus hatte er erhebliche Konzentrations- und Auffassungsstörungen, die ihm die Fortsetzung des Studiums unmöglich machten. Zusätzlich bestanden körperliche Beschwerden in Form von Übelkeit, Schwindel und Herzrasen sowie Kopfschmerzen. Diese Beschwerden führte er - obwohl die Tests negativ waren - darauf zurück, dass er an Aids erkrankt sei. Die Diagnose lautete: paranoide Schizophrenie. Während der stationären Behandlung erfolgte eine Therapie mit einem atypischen Neuroleptikum (Olanzapin). Innerhalb von vier Wochen klangen die ausgeprägten Ich-Störungen, Verfolgungsideen, Misstrauen sowie die wahnhafte Überzeugung, an Aids erkrankt zu sein, ab. Zurück blieb eine leichte Adynamie, die sich in den nächsten Monaten ebenfalls besserte.

Clozapin: Meilenstein und Maßstab

Einen wichtigen Meilenstein in der antipsychotischen Therapie stellte die Entwicklung des Clozapins dar (Leponex®). Clozapin ist erster Vertreter und bis heute Maßstab für atypische Neuroleptika, deren klinisches Profil unter anderem durch ein deutlich reduziertes Risiko für extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen (EPS) und einen besseren Effekt auf die Negativsymptomatik gekennzeichnet ist. Der Anwendung des Clozapins sind wegen des Agranulozytose-Risikos Grenzen gesetzt.

Deswegen war es eine Herausforderung, ein Pharmakon mit vergleichbarer Effektivität und extrapyramidal-motorischer Tolerabilität, aber fehlender gravierender Blutbildveränderungen zu entwickeln. Mittlerweile wurden neue Atypika wie Zotepin, Risperidon, Olanzapin, Quetiapin, Ziprasidon, Sertindol und Amisulprid entwickelt, von denen die meisten auf dem deutschen Markt erhältlich sind. Ziprasidon ist noch nicht zugelassen; die Zulassung von Sertindol ruht derzeit wegen schweren kardiovaskulären Nebenwirkungen (AMK-Meldung in PZ 9/2000, Seite 9).

Unter den "atypischen Neuroleptika" werden antipsychotisch wirksame Medikamente subsummiert, die im Vergleich zu den "klassischen Neuroleptika" eine günstigere Relation von antipsychotischer Wirksamkeit und Verträglichkeit besitzen. Als ein zusätzliches Definitionskriterium wird eine ausgeprägtere Wirksamkeit auf die schizophrene Negativsymptomatik einbezogen.

Die Vorteile der atypischen Neuroleptika betreffen insbesondere die EPS. Sie stellen häufig einen Grund für den Therapieabbruch dar. Insbesondere in Hinblick auf motorische Langzeitwirkungen (Spätdyskinesien) hat man festgestellt, dass sie häufiger als ursprünglich vermutet auftreten (4). In einer prospektiven Studie wurde eine Jahresinzidenz von vier Prozent ermittelt. Durchschnittlich geht man davon aus, dass etwa 20 Prozent der langjährig mit Neuroleptika behandelten Patienten klinisch relevante Spätdyskinesien entwickeln. Bei etwa 20 bis 50 Prozent der Patienten sind diese irreversibel, wobei derzeit keine zufriedenstellende Behandlungsmöglichkeit besteht (5).

Wirksam gegen Negativsymptome

Ein weiteres, bisher noch unzureichend gelöstes Problem in der medikamentösen Therapie schizophrener Psychosen stellt die Negativsymptomatik dar. Kognitive Einbußen, Affektverarmung, Verminderung des Antriebs und soziale Rückzugstendenzen entsprechen dem typischen Bild einer schizophrenen Negativsymptomatik. Da gerade diese Symptomatik für den Langzeitverlauf der Erkrankung sehr bedeutend ist, wird die Entwicklung von Antipsychotika, die effektiv auf Negativsymptome wirken, zunehmend wichtiger. Bemerkenswert ist, dass einige Atypika eine bessere extrapyramidale Verträglichkeit und bessere Wirksamkeit auf die Negativsymptomatik haben, zum Beispiel Risperidon, Olanzapin oder Sertindol.

Ein praktisches Beispiel für die schizophrene Negativsymptomatik zeigt die folgende Kasuistik:

Rückzug in Negativsymptome

Eine 52-jährige verwitwete Hausfrau wurde zum siebten Mal mit der Diagnose einer Schizophrenie in eine psychiatrischen Klinik aufgenommen. Die Erkrankung begann vor etwa zehn Jahren mit einem ausgeprägten Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn; sie fühlte sich von den Nachbarn beobachtet, das Telefon abgehört und mit Radioaktivität bestrahlt. In den letzten Jahren war eine erhebliche schizophrene Negativsymptomatik mit Antriebsarmut, Willensverlust, Affektverflachung, Interesselosigkeit und Verlust der sozialen Kompetenz in den Vordergrund getreten. So verließ sie kaum mehr das Haus und wurde weitgehend von Angehörigen versorgt. Im Verlauf einer dreimonatigen stationären Therapie mit einem atypischen Antipsychotikum (Amisulprid), das schließlich mit einem Antidepressivum (Venlafaxin) kombiniert wurde, besserten sich Antrieb, Interesse an der Außenwelt und soziale Kompetenz deutlich. Sie begann, ihren Tag wieder weitgehend selbst zu strukturieren. Auffassung, Konzentration und Erledigung der Hausarbeit wurden in der Beschäftigungstherapie und im Haushaltstraining trainiert. Die Frau wurde zur weiteren Rehabilitation in eine tagesklinische Behandlung entlassen. Die Verfolgungs- und Beeinträchtigungsideen waren bereits vorher abgeklungen.

Wie entsteht die atypische Wirkung?

Die antipsychotische Wirksamkeit von Neuroleptika beruht vermutlich auf einer Blockade mesolimbischer Dopamin-D2-Rezeptoren, was meist eine Blockade der D2-Rezeptoren im Striatum mit sich bringt. Im Tierversuch führt dies zum Erliegen des Spontanverhaltens, zur Steigerung des Muskeltonus und zu Haltungsanomalien (Katalepsie). Klassische Neuroleptika besitzen mehr unerwünschten Wirkungen, das heißt sie verursachen bereits eine Katalepsie in therapeutisch wirksamen Dosisbereichen. Für Neuroleptika mit einem günstigen extrapyramidalen Nebenwirkungsprofil ist typisch, dass die Besserung der durch Dopaminergika erzeugten Verhaltensänderungen im Tierversuch bei viel geringeren Dosen erfolgt als die Induktion der kataleptogenen Wirkung. Diese Dissoziation der beiden Dosis-Wirkungs-Kurven ist charakteristisch für Neuroleptika mit "atypischem" Profil (6).

Es werden mehrere Hypothesen diskutiert, um die Besonderheiten der Atypika zu erklären. Eine ausgeprägte anticholinerge Komponente, wie sie beim Clozapin bekannt ist, soll als „innere Bremse„ das Auftreten von EPS verringern. Ferner haben atypische und klassische Neuroleptika unterschiedliche Affinität zu D2-Rezeptoren. Vor allem klassische Neuroleptika blockieren D2-Rezeptoren unselektiv im mesolimbischen System und im Striatum und rufen damit häufig EPS hervor (7). Eine gezieltere Blockade mesolimbischer D2-Rezeptoren ohne wesentliche Blockade striataler D2-Rezeptoren, wie es beim Clozapin der Fall ist, reduziert das Auftreten von EPS deutlich (8). Die ausgeprägte antagonistische Wirkung einiger atypischer Neuroleptika (zum Beispiel Risperidon, Clozapin, Olanzapin) auf Serotonin-Rezeptoren (5-HT) soll ebenfalls vor extrapyramidalen Störungen schützen (9, 10).

Ein weiterer Unterschied zwischen den klassischen und atypischen Neuroleptika besteht hinsichtlich des Dopamin-Metaboliten Hydroxy-Vanillinmandelsäure (HVA). Nach Gabe von Haloperidol bei der Ratte kommt es in den striatalen Arealen zu einen deutlich höheren kompensatorischen Anstieg von HVA als in mesolimbischen Arealen. Bei Clozapin hingegen findet man eine gleichmäßige Verteilung in den nigrostriatalen und mesolimbischen Arealen. Dies wird mit dem geringeren Auftreten von EPS in Verbindung gebracht (11).

Dirty drug Clozapin

Clozapin, ein Dibenzodiazepin, zeigt keine kataleptogene Wirkung und besitzt nur ein geringes EPS-induzierendes Potenzial. Clozapin zeigt hinsichtlich seiner Rezeptoraffinität ein weites Spektrum und ist deswegen einer der Prototypen der "Dirty drugs" (Tabelle 1): Der therapeutische Effekt kann nicht der Blockade einer bestimmten Rezeptorgruppe zugeordnet werden. Möglicherweise ist gerade die Wirkung auf unterschiedliche Neurotransmittersysteme wichtig für das charakteristische Wirkprofil. So blockiert Clozapin neben D1-, D3- und D4-Rezeptoren auch 5-HT2-, H1-, a1- und muskarinische Acetylcholin-(mAch)-Rezeptoren. Es besitzt geringe Affinität zu D2-Rezeptoren. Die Blockade von D1-Rezeptoren ist bei Clozapin stärker als bei den klassischen Neuroleptika. Clozapin hat ferner eine ausgeprägte Affinität zu D4-Rezeptoren, was ebenfalls mit dem atypischen Profil in Verbindung gebracht wird. Dieser Umstand ist insofern interessant, da eine erhöhte Anzahl von D4-Rezeptoren in Gehirnen schizophrener Patienten nachgewiesen werden konnten (12).

Rezeptorbindungsverhalten von atypischen
Neuroleptika im Vergleich zu Haloperidol

Rezeptor . Haloperidol Amisulprid Clozapin Olanzapin Risperidon Quetiapin Ziprasidon Zotepin
D1-Familie D1 + - + ++ + - + +
D2-Familie D2 +++ +++ + ++ +++ + +++ ++
. D3 ++ +++ + ++ ++ - ++ ++
. D4 ++ - ++ ++ ++ - ++ ++
5-HT HT1A - - - - + + +++ -
. HT1D - - - - ++ - +++ +
. HT2A ++ - +++ +++ +++ + +++ +++
. HT2C - - ++ ++ ++ - +++ +++
Alpha-1 . +++ - +++ ++ ++ + + +++
Alpha-2 . - - ++ - +++ - ++ +
H1 . - - +++ +++ +++ ++ + ++
M1 . - - ++ ++ - + - +
Sigma . +++ - - Æ - + Æ Æ
-: keine klinische Relevanz; +: schwach ausgeprägt; ++: mittel;
+++: stark ausgeprägt;
Æ: keine Daten bekannnt

Wie schon erwähnt, scheint die 5-HT-Rezeptorblockade vor der Entwicklung von EPS zu schützen. Clozapin besitzt in vitro eine sehr hohe Affinität für den Serotonin-Rezeptorsubtyp 5-HT2. PET-Studien zeigten eine hohe 5-HT2-Rezeptorbesetzung in klinisch relevanten Dosen. Genetische Studien lassen einen Zusammenhang zwischen 5-HT2A- und 5-HT2A-Rezeptor-Polymorphismen und dem unterschiedlichen Ansprechen auf Clozapin vermuten (13, 14).

Die gute antipsychotische Wirksamkeit von Clozapin steht heute außer Zweifel. Es ist unter anderem besonders für Patienten geeignet, die auf die Gabe von klassischen Neuroleptika mit EPS reagieren, unter klassischen Neuroleptika keine Verbesserung ihrer Symptomatik zeigen oder an einer schizophrenen Negativsymptomatik leiden (15). Darüber hinaus gibt es Hinweise auf eine günstige Beeinflussung neuroleptisch bedingter Spätdyskinesien (16). Limitiert wird die Anwendung zum einem durch die in höheren Dosen hervorgerufene starke Sedierung und Kreislaufdepression, zum anderen durch die bei etwa 0,6 Prozent der Patienten auftretende Agranulozytose. Auf Grund dieses Risikos sind regelmäßige Blutbildkontrollen erforderlich.

Die durchschnittliche Dosierung in der Akutbehandlung liegt zwischen 200 bis 400 mg/d. Wegen der kreislaufdepressiven Nebenwirkungen wird zu Beginn der Behandlung eine "Testdosis" von 12,5 mg verabreicht. In der Folge wird in der Regel eine schrittweise Erhöhung um 25 bis 50 mg pro Tag vorgenommen. Die Maximaldosis liegt unter stationären Bedingungen bei etwa 1000 mg täglich.

Etwa 20 bis 30 Prozent der an einer Schizophrenie leidenden Patienten erreicht während einer vier bis sechs Wochen dauernden Neuroleptika-Therapie gar keine oder nur eine geringe Besserung. Bei diesen therapieresistenten Patienten konnte Clozapin in einer Dosierung bis zu 800 mg pro Tag über sechs Monate gute Erfolge erzielen (17).

Risperidon: Angriff an Dopamin- und Serotonin-Rezeptoren

Risperidon (Beispiel Risperdal®) ist ein Benzisoxazol-Derivat und wird unter dem Begriff "atypisches Neuroleptikum" subsummiert, da es im Tierversuch keine kataleptogene Wirkung zeigt und zumindest im niedrigeren Dosisbereich nur geringe EPS induziert (18). In höheren Dosisbereichen treten im Gegensatz zum Clozapin jedoch EPS auf.

Risperidon ist pharmakologisch dadurch gekennzeichnet, dass es einen potenten Dopamin-D2-Antagonismus mit einem ausgeprägten Serotonin-Antagonismus (5-HT2A und 5-HT2C) verknüpft (19). Ferner besitzt es eine hohe Affinität zu den histaminergen H2- und a1-Rezeptoren, jedoch nur eine geringe Affinität zu den D1-Rezeptoren. Die hohe Affinität zu D2-Rezeptoren legt nahe, dass diese Substanz im Tiermodell eine kataleptogene Wirkung induzieren müsste, was aber nicht der Fall ist. Der Grund dürfte an der hohen Affinität zu 5-HT2-Rezeptoren liegen, die diesen unerwünschten Wirkungen der D2-Rezeptorblockade entgegenwirken könnten (20).

Im klinischen Gebrauch zeigt Risperidon eine hohe antipsychotische Wirkung auf die schizophrene Positivsymptomatik, gute Wirksamkeit bei schizophrener Minussymptomatik und eine gute extrapyramidal-motorische Verträglichkeit (21). Nach einer einschleichenden Dosierung über etwa drei Tage liegt die durchschnittliche Dosierung in der Akuttherapie zwischen 4 und etwa 12 mg/d; 6 mg gelten als optimal. In der Langzeitmedikation und zur Rezidivprophylaxe ist ein niedrigerer Dosisbereich zu favorisieren, der sich bei 2 bis 4 mg/d bewegen dürfte. In der Behandlung der schizophrenen Negativsymptomatik sollte ein Dosisregime von 4 ± 2 mg pro Tag gewählt werden (22).

Olanzapin bei Produktiv- und Minussymptomatik

Olanzapin ist ein Thienobenzodiazepin (Beispiel: Zyprexa®). Vom Rezeptorprofil nimmt es eine Zwischenstellung zwischen Clozapin und Risperidon ein. Es besitzt eine höhere Affinität als Clozapin zu den 5-HT2A- und D2-Rezeptoren, aber eine niedrigere Affinität als Risperidon. Es hat relativ starke anti-a1-adrenerge und antihistaminerge Eigenschaften, die zu Blutdrucksenkung und Sedierung führen können. Ferner scheint Olanzapin eine hohe Affinität zu muskarinergen M1-Rezeptoren zu besitzen und ähnelt auch in diesem Rezeptorprofil dem Clozapin, obgleich die anticholinergen Effekte klinisch nicht so stark in Erscheinung treten (23). Im Tiermodell für Neuroleptika-Wirkungen ist die durch Blockade von D1- und D2-Rezeptoren erzielte Wirkung von Olanzapin etwa doppelt so ausgeprägt wie die von Clozapin. Die Effektivität bezüglich der 5-HT2-Rezeptor-vermittelten Verhaltensweisen entspricht in etwa der des Clozapins. Hinsichtlich der kataleptogenen Wirkung nimmt es eine Mittelstellung ein. So zeigt Olanzapin eine geringere kataleptogene Wirkung als Risperidon, während Clozapin überhaupt keine Katalepsie induziert.

Olanzapin hat sich in der Therapie sowohl der schizophrenen Produktiv- als auch der Minussymptomatik bewährt. Die Therapie wird mit 5 bis 10 mg/d eingeleitet. Die Dosierung kann entsprechend des psychopathologischen Zustandsbildes bis zu 25 mg/d erhöht werden. Die Erhaltungsdosis liegt zwischen 5 und 20 mg pro Tag. Olanzapin wird als Einmalgabe bevorzugt am Abend verabreicht.

Amisulprid: selektiv an Dopamin-Rezeptoren

Amisulprid ist ein substituiertes Benzamid mit hoher und selektiver Affinität zu Dopamin-D2- und D3-Rezeptoren (Beispiel: Solian®). Es hat eine dreifach stärkere Bindung zu limbischen im Vergleich zu striären Dopaminrezeptoren und provoziert selbst in hohen Dosen im Tierversuch keine Katalepsie (24). Außerdem zeigten Tierversuche, dass Amisulprid in niedriger Dosierung vorzugsweise die präsynaptischen Rezeptoren blockiert, während es in höheren Dosen auch postsynaptische Rezeptoren besetzt. Die Blockade präsynaptischer Rezeptoren bei niedriger Dosierung lässt eine gute Wirksamkeit bei Negativsymptomen vermuten. In höheren Dosierungen stellt sich ein antipsychotischer Effekt ein (25).

Da Amisulprid ausschließlich auf Dopamin-D2- und D3-Rezeptoren wirkt, sind Nebenwirkungen, die über antihistaminerge (Sedation), adrenolytische (Blutdrucksenkung) und anticholinerge (Mundtrockenheit) Mechanismen vermittelt werden, nicht zu erwarten (26).

In klinischen Studien mit Amisulprid zeigte sich, dass bei Schizophrenie mit akuter Exazerbation die optimale Dosis zwischen 400 und 800 mg/d liegt. In Ausnahmefällen kann unter stationären Bedingungen bei Patienten mit überwiegender Positivsymptomatik und starker psychomotorischer Unruhe bis zu 1200 mg/d aufdosiert werden. Wird das psychopathologische Erscheinungsbild überwiegend von schizophrener Negativsymptomatik dominiert, so ist ein Dosisregime zwischen 50 und 300 mg/d zu favorisieren.

Zotepin bei akuter Schizophrenie

Zotepin ist ein trizyklisches Antipsychotikum aus der Gruppe der Dibenzothiepine (Beispiel: Nipolept®). Es besitzt eine mittlere Affinität zu D2-Rezeptoren und eine schwächere zu D1-Rezeptoren. Vom D1/D2-Rezeptorquotienten her ähnelt Zotepin dem Clozapin. Ferner besitzt Zotepin Affinität zu D3- und D4-Rezeptoren, wobei die D2- und D3-Rezeptoren stärker gehemmt werden als die D1- und D4-Rezeptoren. Es besteht eine hohe Affinität zum 5-HT2- und 5-HT2c-Rezeptor, der mit einer anxiolytischen Wirkung in Verbindung gebracht wird, aber auch noch zu den 5-HT6-und 5-HTv-Rezeptoren. Der 5-HT2/D2-Quotient liegt im Größenbereich des Clozapins. Die kardiovaskulären Nebenwirkungen, zum Beispiel eine orthostatische Dysregulation, können auf die a1-Rezeptor-Wirkung, der sedierende Effekt auf die ausgeprägten Affinität zu H1-Rezeptoren zurückgeführt werden. Die optimale Tagesdosis liegt im Bereich von 100 bis 300 mg pro Tag, wobei man einschleichend mit einer wöchentlichen Steigerung um 50 mg beginnen sollte. Die Maximaldosis liegt bei etwa 450 mg pro Tag und sollte unter stationären Bedingungen verabreicht werden (27).

In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass Zotepin wirksam ist zur Behandlung von akut erkrankten Patienten, bei denen produktive und negative Symptome vorhanden sind, aber auch bei vorherrschender primärer Negativsymptomatik. Der für diese Patientenpopulation zu favorisierende Dosisbereich dürfte zwischen 150 und 200 mg pro Tag liegen (28).

Quetiapin: EPS auf Placeboniveau

Quetiapin ist ein Dibenzothiazepinderivat, das eine höhere Affinität zu serotonergen 5-HT2-Rezeptoren als zu den dopaminergen D1-und D2-Rezeptoren aufweist (Beispiel: Seroquel®). Quetiapin besitzt eine mäßig ausgeprägte Affinität zu a1- und a2-adrenergen Rezeptoren und zeigt eine substanzielle Selektivität für das limbische System. Interessanterweise weist Quetiapin nur eine unbedeutende Affinität zu muskarinischen Rezeptoren auf (29).

In Placebo-kontrollierten klinischen Studien wurde die Wirksamkeit von Quetiapin bei schizophrenen Patienten mit akuter Exazerbation festgestellt. Die Inzidenz von extrapyramidalen Symptomen bei Patienten, die mit Quetiapin behandelt wurden, war gleich niedrig wie bei Patienten, die ein Placebo erhielten.

Die Therapie sollte einschleichend mit 50 mg/d, bei älteren Patienten mit 25 mg/d beginnen und kann im Verlauf von vier bis fünf Tagen bis auf 300 mg/d gesteigert werden. Die Erhaltungsdosis liegt entsprechend des psychopathologischen Zustandsbildes zwischen 300 und 600 mg/d, die auf zwei Einnahmezeitpunkte verteilt werden sollte. Die Höchstdosis liegt bei 750 mg/d.

Die Wirksamkeit von Quetiapin bei der schizophrenen Negativsymptomatik konnte in mehreren Studien belegt werden. Eine durchgehende Verbesserung der Symptomatik gemessen an den Veränderungen der SANS (Scale of Assessment of Negative Symptoms) konnte sowohl in niedrigeren (300 mg/Tag) als auch in höheren Dosisbereichen (£ 750 mg/Tag) festgestellt werden. Der optimale Dosisbereich dürfte bei 500 mg pro Tag liegen (30).

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Anschrift der Verfasser:
Dr. Norbert Müller, Dr. Michael Riedel, Professor Dr. Hans-Jürgen Möller,
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie,
Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität,
Nußbaumstraße 7,
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