Über die Wirkungen des HaschischVon Dr. W. Reiniger

Der von dem französischen Azt R. Blondel 1887 geprägte Satz: "Jeder Haschischsüchtige hat den Rausch, den er verdient", kennzeichnet die Abhängigkeit der Haschischwirkung von den individuellen Bedingungen, die durch Abstammung, Erziehung, Schicksal, Umwelt und durch die jeweilige Stimmung des Haschischgenießers gegeben sind. trotz des Einflusses dieser verschiedenartigen Faktoren ist es auf Grund der Untersuchungen von J. J. Moreau de Tours (1804-1884), E. v. Bibra (1806-1878), J. Bouquet, A. Dardanne (1924) u.a.m. doch bis zu einem gewissen Grade möglich, das charakteristische Bild der Haschischwirkung zu erfassen.

Im Verlauf des Haschischrausches lassen sich nach A. Dardanne fast immer vier Stadien deutlich unterscheiden: 1. Eine allgemeine Erregung der sensiblen und der motorischen Nerven; z. eine Art Delirium mit Sinnestäuschungen und starken Lustgefühlen, von den Arabern "Fantasia" genannt; 3. ein Zustand der Entrückung und der tiefen Ruhe, von den Arabern als "Kif" bezeichnet, ein Name, der später auch auf bestimmte Haschischpräparate übertragen wurde (siehe S. 2779); 4. ein Stadium des Schlafes, in das der Entrückungszustand meistens allmählich übergeht, das aber häufig durch kurze Delirien unterbrochen wird, nach denen der Berauschte sofort wieder in tiefen Schlaf versinkt. Nach dem entgültigen Erwachen aus dem Haschischrausch besteht meistens ein starkes Hungergefühl; gelegentlich treten auch seelische Depressionen auf.

Es darf als Regel gelten, daß die physischen Symptome meistens später auftreten als die psychischen. Eine sehr schwache Dosis Haschisch, die etwa die gleichen physischen Effekte hervorruft, wie eine auf leeren Magen getrunkene Tasse Tee oder Kaffee, kann den psychischen Zustand des Haschischgenießers schon sehr stark beeinflussen. Eine Erhöhung der Dosis führt zur Steigerung der Euphorie; durch hohe Dosen sucht der Haschischgenießer die unangenehmen physischen Wirkungen von vornherein auszuschalten. Kennzeichnend für den Haschischrausch ist es, daß der Berauschte sich zunächst der Ursache seines Zustandes und der Unwirklichkeit seiner Vorstellungen durchaus bewußt ist, ja, er kann durch entsprechende Willensanstrengung sogar meistens die psychischen Wirkungen des Haschisch wieder aufheben. In diesem Stadium sind die physischen Symptome: leichter Druck in den Schläfen und in den oberen Partien des Schädels, Verlangsamung der Atmung, angenehmes Wärmegefühl im Oberkörper bei gleichzeitigem Erkalten der Beine, Prickeln in der Muskulatur. Wurde eine sehr beträchtliche Dosis genommen, so fühlt der Haschischgenießer starke Wärmeandrang im Kopf, "es ist, alb ob das Gehirn siedet" (Moreau), Ohrenklingen tritt auf, manchmal auch Schwindel, der Magen scheint sich zusammenzuziehen, die Muskeln des Gesichtes und der Extremitäten zeigen krampfartige Kontraktionen; ein aufrechtes Sitzen in diesem Zustand, der meist dem Schlafstadium unmittelbar vorangeht, nicht mehr möglich. Als Zeichen der Intoxikation sind noch Schweißausbrüche, Pupillenvergrößerung und eine sehr reichliche Diurese zu nennen. Die diuretische Wirkung des Haschisch wird zwar, z.B. von Jules Bouquet in Abrede gestellt; er führt die beim Haschischraucher auftretenden Pollakisurie einzig auf die große Menge von Flüssigkeiten zurück, die der Haschischraucher zu sich nimmt, um den entstandenen Trockenheitsgefühl zu begegnen.