DEMO: G8 Gipfel 2003

Hier ließ uns ein Teilnehmer der G8 Gipfel Demos in Evian einen selbst geschriebenen Bericht über die dort geschehenen Ereignisse zukommen. Natürlich alles aus seiner Sicht. Danke an dieser Stelle!

Die G8 Gipfel sind Treffen der Regierungschefs der acht wichtigsten Industrienationen weltweit. Gleichzeitig bilden diese Staaten die Basis der WTO, des IWF und der Weltbank. Zusammengefasst sind dies die Hauptakteure der neoliberalen Globalisierung, welche mit Sozialabbau, Deregulierungen und Strukturanpassungsprogrammen den Wahnsinn des freien Marktes weiter antreiben und dadurch weltweit für das Elend der Menschen verantwortlich sind. Seit den Demonstrationen von Seattle befindet sich die antikapitalistische Bewegung im Aufwind und fand in den Protesten gegen das G8 Treffen in Genua 2001 mit über 200.000 Teilnehmern ihren Höhepunkt. Seitens der Demonstranten wird eine andere Globalisierung gefordert: Herrschaft über andere soll prinzipiell als illegitim abgelehnt werden! Um an den Protesten gegen den G8 Gipfel im französischen Evian teilzunehmen machten sich auch einige Leute aus Innsbruck auf, um ihren Unmut über die herrschenden Verhältnisse Ausdruck zu verleihen.

Am Freitag den 30. Mai 2002 um 6 Uhr früh konnten wir pünktlich wie geplant die Fahrt in das französische Annemasse antreten. Aus diversen Internetforen erfuhren wir, dass dort während der Proteste ein anarchistisches Camp organisiert wird. Um nicht über die Schweizer Grenze fahren zu müssen, da wir dort erhebliche Kontrollen vermuteten und uns eventuell die Einreise verboten werden konnte, wählten wir die Route über Italien und den Mont Blanc Pass. Nach rund 7 Stunden Anreise kamen wir an der italienischen - französischen Grenze an, konnten aber trotz dem Außerkrafttreten des Schengener Abkommens relativ problemlos die Grenze passieren. Nach einer weiteren Stunde Fahrt (und dem X-ten Abspielen diverser Punk Tapes), kamen wir um ca. 14 Uhr in Annemasse an, suchten anschließend noch ca. 3 Stunden das "antikapitalistische, antiautoritäre und antimilitaristische" Camp (VAAAG) und bauten anschließend unser Zelt auf. Das Camp war super organisiert, beispielsweise fanden alle paar Stunden Meetings statt, in denen die Vorgehensweise der Aktionen der nächsten Tage in französisch, englisch, deutsch und italienisch diskutiert wurde. Am Abend fand dann ein Konzert mit fünf Bands der verschiedensten Stilrichtungen statt. Die letzte Band des Abends war die Pariser RASH (Red and Anarchist Skinheads, für alle Unwissenden) Band Brigada Flores Magon, die mit ihren anarchistischen Texten und gewaltigen Melodien die Menge mitriss. Während des Konzertes trafen wir noch andere bekannte Gesichter, diskutierten über die, bereits heute stattgefundene Demonstrationen im Genfer Bankenviertel und ließen den Tag mit französischem Wein, Baguette und Bier ausklingen.

Am nächsten Morgen fanden weitere Plena statt, in denen über die derzeitige Situation diskutiert wurde. Mit den diversen Camps rund um den Genfer See bestand reger Austausch. Besonders in Lausanne waren zu diesem Zeitpunkt zu wenig Menschen anwesend, um am Sonntag eine wirkungsvolle Blockade des Hafens durchzuführen. Die Behörden hatten nämlich ihr Vorhaben geändert: Die Delegierten sollten nicht mehr über Frankreich/Annemasse nach Evian transportiert werden, da sie hier massive Proteste erwarteten. Neuer Plan waren die Teilnehmerinnen des G8 Gipfels vom Genfer Flughafen, der übrigens von deutschen Spezialeinheiten bewacht wurde, nach Lausanne zu fahren und von dort mit dem Schiff ins gegenüberliegende Evian zu befördern. Wir beschlossen daraufhin den Versuch zu wagen über die französisch - schweizer Grenze nach Genf und anschließend nach Lausanne zu fahren, um die dortigen Blockadeaktionen zu unterstützen.

An der Grenze bot sich uns ein erschreckendes Bild, Soldaten mit Maschinengewehren im Anschlag begrüßten uns. Unser Fahrzeug wurde von oben bis unten durchsucht und diverse Flugblätter und eine Eisenstange, die für einen Reifenwechsel bestimmt war, wurde konfisziert (welcher Idiot nimmt denn eine Eisenstange auf eine Demo mit, bei Bedarf kann diese immer noch vor Ort organisiert werden!). Wir wurden währenddessen von den Zöllnern und Soldaten kontrolliert (Dauer rund 45 Minuten). Als sich einer der Zöllner Gummihandschuhe anzog, ahnte ich das Schlimmste (keine Lust auf Leibesvisitation und andere Demütigungen!), aber glücklicherweise wurde nur unser Gepäck kontrolliert und wir konnten unsere Kleidung anbehalten. Anschließend fuhren wir nach Genf, um uns über die Lage vor Ort zu informieren. Die Stadt war fast komplett verbarrikatiert und einige Spuren der Demonstration am Freitag konnten festgestellt werden, aber wir sahen keine Polizei. Nach einiger Zeit fanden wir die beiden Camps. Dort angekommen besprachen wir die Situation und wurden darauf hingewiesen, dass eines der beiden Camps von Räumung bedroht ist und beschlossen daraufhin nach Lausanne weiterzufahren. Anzumerken ist, dass in diesem relativ kleinen Genfer Camp eine Küche aufgebaut war, in der jeder mit den vorhandenen Lebensmitteln gegen freiwillige Spenden kochen konnte. Es war auch eine Mülltonne mit Dosenbier zur freien Entnahme existent (Prost!). In Genf bekam unser Fahrzeug noch deutsche Unterstützung und wir machten uns nach Lausanne auf. Bei der Hinfahrt konnten wir feststellen, dass auf allen Autobahnbrücken Sicherheitsbeamte standen, um mögliche Aktionen im Keim zu ersticken. Als wir in einem der beiden Lausanner Camps ankamen, erfuhren wir dass am nächsten Tag in den frühen Morgenstunden die Zufahrtswege zum Hafen blockiert werden. Ziel dieser Blockaden war den Beginn des Gipfels, so lange wie möglich zu verzögern. Aus Müdigkeit verzichteten wir auf den Zeltaufbau und tranken noch ein Bier mit der Aufschrift "Resistance - Biere Contre le G8".

Am Sonntag wurden wir, nicht gerade sanft, von Trommelklängen geweckt. Zu diesem Zeitpunkt war es nicht einmal 5 Uhr. Nach einem Frühstück, dass von den Organisatoren des Camps zur Verfügung (!!!) gestellt wurde, bildeten sich zwei Blöcke mit jeweils rund 1.500 Personen größtenteils aus dem autonomen Spektrum um Richtung Hafen bzw. Rote Zone aufzubrechen (es waren auch wieder bekannte Gesichter aus Ösiland anwesend).

Den ersten Teil des Demonstrationszuges bildete der "Pink - Silver" Block, mit Samba Gruppe und Soundsystem und am Ende des Zuges befand sich der Block "Anthrazit" (schwarzgrau) ebenfalls mit einem Soundwagen. Innerhalb der ersten Stunde bewegten sich beide Blöcke geschlossen Richtung rote Zone. Während des Losgehens wurden schon alle möglichen Blockademateriellen mitgenommen: Straßenschilder, Mülltonen, brennbares Material und diverse andere Gegenstände. In diesem Zeitraum war nur ein Polizeihubschrauber zu sehen, der über der Demo kreiste. Als wir an einer Autobahnauffahrt ankamen, ging der "Pink - Silver" weiter Richtung roter Zone. Der Block "Anthrazit" begann hingegen sofort mit dem Bau von Barrikaden und diese wurden sofort entzündet. Die Autobahnauffahrt/abfahrt war blockiert. Nach einiger Zeit bewegte sich der "Anthrazit" Block mit Unterstützung eines Soundwagens weiter. (Dieser versorgte uns während der Aktionen mit Spitzensound à la Rawside, Slime und MC Greis) Einige Meter weiter wurde eine Tankstelle (Esso oder Shell) attackiert. Etwas später wurde die nächste Tankstelle wesentlich heftiger attackiert, diese verwandelte sich sofort in einen Selbstbedienungsladen. Die Demonstration war seitdem mit Zigaretten und ähnlichem versorgt. Die Ausrüstung der teilnehmenden Aktivistinnen war meiner Erkenntnis nach sehr gut. Gasmasken, Brillen (um sich gegen Gummigeschosse zu schützen), Werkzeug, Protektoren, Helme, Handschuhe, etc konnte ich beobachten. Alle 30 Meter wurde ein Hydrant aufgeschraubt und das Wasser schoss heraus, Überwachungskameras wurden attackiert. Es wurden auch diverse Filialen von Konzernen angegriffen, aber es gab fast keine unbegründeten Zerstörungen. An einer Kreuzung wurde in Windeseile eine Baustelle in eine Straßensperre umgewandelt und an eben derselben Stelle öffnete ein Migros Supermarkt (Schweizer Konzern) unfreiwillig seine Pforten. Die Demo versorgte sich jetzt mit Lebensmitteln und Getränken. Der anwesenden Lausanner Bevölkerung wurden auch diverse Konsumartikel geschenkt bzw. sie bedienten sich selbst in der "Selbstbedienungsfiliale". Bis zu diesem Zeitpunkt war keine Spur von der Polizei. Erst als ein Nobelhotel mit Eiern attackiert wurde, liefen einige "Blauuniformierte" auf die Demo zu und versuchten diese anzugreifen. Die Polizisten konnten aber mit Leuchtspurraketen, Steinen, Holz, Glas und anderem werfbaren Material in die Flucht geschlagen werden. Glücklicherweise konnte auch das schon eingesetzte Tränengas der Demo nichts anhaben, da sich der Wind in die andere Richtung drehte.

Der "Pink - Silver" Block hatte mittlerweile die Rote Zone erreicht, verhielt sich aber ruhig. Grundlos wurde der Block mit Wasserwerfern und Tränengas attackiert. Daraufhin vermischte sich der flüchtende "Pink - Silver" Block mit dem nachrückenden "Anthrazit" Block. Es wurde eine Barrikade gebaut um sich gegen die Attacken der Polizei zu verteidigen. Aber mit Hilfe von Wasserwerfern, Tränengas und Gummigeschossen wurde die Demo auseinandergetrieben. Die Kanoniere der Schweizer Polizei schossen so unkontrolliert durch die Gegend, dass sogar Tränengasgranaten in diversen Hinterhöfen und auf Balkonen landeten. Teile der Demo fanden sich wieder und wurden von der Schweizer Polizei aus der Stadt getrieben. Immer wenn die Aktivistinnen zu langsam gingen, wurde von hinten Tränengas, Gummischrott und Schockgranaten in die Menge geschossen. Gleichzeitig liefen auch immer wieder Robocops in die Demonstration und attackierten diese mit Gummiknüppeln. Zwischen 11 und 12 Uhr waren die Demonstranten wieder in ihren Camps angekommen. Nun wurde die Situation immer gefährlicher. Die Polizei kesselte in einem Camp rund 1.500 Menschen ein. Aus den umliegenden Feldern bewegten sich Polizistinnen in Richtung Camp. Tränengaskanoniere bezogen rund um das Camp Position. Zu diesem Zeitpunkt war es etwa 12 Uhr 30. Im Camp drängten sich die Menschen in praller Sonne auf einer sehr kleinen Fläche. Die Situation war aussichtslos - keine/r wusste was jetzt passieren wird. Es sah so aus, als ob nicht einmal die Polizei wusste, was sie jetzt machen sollte. Nach einigen Stunden Aufenthalt in praller Sonne und weit über 30 Grad begann die Polizei einzelne Leute an den Haaren wegzuziehen und zu verhaften, diese leisteten passiven Widerstand (alles andere wäre in dieser Situation auch einem Suizid nahe gekommen). Meiner Schätzung nach wurden etwa 500 Personen festgenommen und es wurde kein Grund der Festnahmen angegeben. Zwischen 18 und 19 Uhr verließ die Polizei fluchtartig das Gelände und Jubel brach aus. Wahrscheinlich ist das auf die anrückende Demonstration von diversen Lausanner Gruppen und Parteien zurückzuführen. Das polizeiliche Vorgehen war rechtlich in keinster Weise gedeckt und könnte auch von oberster Stelle abgebrochen worden sein.

Die meisten der Verhafteten waren nach rund 5 Stunden wieder in Freiheit. Gegen 20 bis 30 Personen wird weiterermittelt. Unter den Demonstranten/innen gab es einige Verletzte, einige Menschen wurden von Polizisten während der Demonstration verprügelt oder wurden von Gummigeschossen oder von Blendschockgranaten verletzt. Auch während der Einkesselung bekamen einige Menschen Probleme mit dem Kreislauf. Notärzte wurden von der Polizei nur wiederwillig in den Kessel hineingelassen. Sämtliche Aktionen konnten den Gipfel zwar nicht verhindern, aber er konnte erst mit einigen Stunden Verspätung beginnen - ein kleiner Erfolg für die Aktivisten/innen und große mediale Aufmerksamkeit! Anschließend traten wir müde und abgekämpft die problemlose Heimreise an. Eine andere Welt ist möglich! Fight!
(Name unbekannt!)