There is no way out ... weil es um's Ganze geht!
Überlegungen zum Infobeisl am 13.2.07 mit Gerhard Hanloser

In Frankfurt fand vom 7. - 9. Dezember ein Kongress statt, der "am Beispiel von (Post)Operaismus und Wertkritik" zu diskutieren versuchte, "wie und wo der way out zu suchen ist". Mit dem "way out" meinen sie den Gang raus aus dem Kapitalismus. Laut VeranstalterInnen, dem "Um's Ganze" Bündnis, das manche sicher noch von den G8-Protesten in Heiligendamm kennen, nahmen an den drei Tagen "zeitweise bis zu 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den einzelnen Veranstaltungen teil". Das lässt u. a. darauf schließen, "dass die 'Kritik der politischen Ökonomie' nachwievor ein Thema der Bewegungslinken und das Interesse an einem wayout ungebrochen ist". Neben bekannten TheoretikerInnen der beiden genannten Theorieströmungen gesellte sich auch Gerhard Hanloser unter die ReferentInnen. Er hielt ein Input-Referat zur Podiumsdiskussion mit dem Titel "Klasse/Klassenkampf/soziale Kämpfe/Multitude". Am Podium saß er zusammen mit Robert Foltin (Grundrisse), Sven Ellmers (Ruhr Uni Bochum) und Slave Cubela (Express). Wir denken, dass es interessant ist, an diesem kleinen Stück linksradikaler Geschichte trotz unserer eigenen Abwesenheit teilzuhaben. Und da wir mit Gerhard bis jetzt immer gute Erfahrungen gemacht haben - er war schon drei Mal in Innsbruck - haben wir eingeladen, um über antikapitalistische Perspektiven zu diskutieren. Er wird dasselbe Referat halten, das er am Kongress gehalten hat: "Postoperaismus und Wertkritik ... und der Klassenkampf." Das Manuskript dazu wurde online veröffentlicht: Klick. Einige Punkte wollen wir nun ansprechen, die für eine Diskussion in Innsbruck interessant sein könnten.

Theoriemode

Gerhard bezeichnet "(Post)Operaismus" und "Wertkritik" als Theoriemoden. Warum? Sieht man sich die Entstehungsgeschichte der beiden Theorien an, dann fällt auf, dass beide nicht in Kämpfen entstanden, sondern in den Seminarräumen von Universitäten. Dies muss als Ausdruck der Krise des Klassenkampfs verstanden werden. Als die italienischen AutoarbeiterInnen 1980 bei Fiat in Italien ihre große Schlappe verkraften mussten, die Niederlage der englischen Bergarbeiter 1979/80 in England den Thatcherismus einläutete und die autonome, sich radikal verstehende Linke in Deutschland den Rückzug aus der Lohnarbeit antrat (entweder verkrochen sie sich in besetzte Häuser und wollten von der "ArbeiterInnenklasse" nix mehr wissen oder sie endeten im bürgerlichen Sumpf von Friedensbewegung und Grünen), war die Sprengkraft von '68 endgültig verflogen. Es kündigte sich ein verschärfter Kampf der UnternehmerInnen, PolitikerInnen, kurz: der herrschenden Elite gegen kollektiven Widerstand, gegen Sozialleistungen und gegen soziale Errungenschaften an. Die 80er und 90er waren geprägt durch größtenteils rabiate Angriffe des Kapitals auf die Erwerbsbeschäftigten und Arbeitslosen. Verwundert es wen, dass die Reallöhne heute niedriger sind als beispielsweise vor 30 Jahren? In Österreich zB. sank der Anteil der Löhne am Nationaleinkommen von 72 Prozent Mitte der 70er auf 57 Prozent im September 07. Es ist ein Zusammenhang zu suchen zwischen niedrigen Löhnen, miesen Arbeitsbedingungen und ausbleibenden Kämpfen. Zugespitzt könnte man sagen: Niedrige Löhne und grausame Produktionsverhältnisse sind das Ergebnis nicht vorhandener Kämpfe, die weltweit im Zusammenhang stehen. In diesem Klima, in dem "linksradikal" etwas - im schlechten Sinne - "Intellektuelles, Studentisches" wurde, entwickelten sich die beiden Theorien "(Post-)Operaismus" und "Wertkritik". Beide reden nicht mehr von "ArbeiterInnenklasse" als negativem Subjekt, das verantwortlich ist für den Kapitalismus und deshalb auch die Macht hat, ihn zu zerstören.

Vom Zerstören zum "einfach weiter machen" ...

In der (post)operaistischen Theorie hat die Multitude die Klasse abgelöst. Sie soll eine "Pluralität der Singularitäten", eine "Bewegung der Bewegungen" darstellen. Damit könne man zB. Kämpfe von Transgender, KulturarbeiterInnen und Anti-G8 AktivistInnen zusammenfassen und als kommunistisch verstehen. Das klingt oberflächlich betrachtet sehr einladend und auch sehr einleuchtend, nur schleicht sich hier ein dummer Fehler ein: Die Negativität der ArbeiterInnenklasse, die sich bewusst selber abschaffen muss, um den Kapitalismus kaputt zu machen, bekommt eine positive Wendung: Wir sind die Multitude, wir sind die produktiven, wir sind bereits kommunistisch vergesellschaftet. Nur das doofe Empire, das uns die kapitalistisch-imperialistische Politik aufzwingt, müssen wir noch besiegen. Die eigenen Arbeitsverhältnisse werden nicht mehr als negativ reflektiert. So gesehen hat die (post-)operaistische Theorie all das Tolle vom Marxismus verworfen: Kaputt machen, (Selbst-)Hass wegen meiner beschissenen Situation im Kapitalverhältnis, Negativität, soziale Sprengkraft - und genau das gelassen, was die langweiligen K-Gruppen und Avantgardeparteien gepredigt haben: Das totale, reine, widerspruchslose, revolutionäre Subjekt. Bei den MarxistInnen-LeninistInnen war das das männliche Fabriksproletariat, bei den (Post-)OperaistInnen ist es nun die vernebelte Multitude. Es ist vermutlich genau das, was viele anzieht. Gewollt (!) unklare Bestimmungen und "endlich mal was Optimistisches, Positives". Vom Positiven, das weiß wohl einE jedeR, sind wir aber meilenweit entfernt.

... und vom Menschen zum Alien

Anders die "Wertkritik". Deren VertreterInnen predigen, dass alles vom Wert beherrscht wird, die ArbeiterInnen "verhausschweint" seien (witzig, zugegeben) und man den Kapitalismus "von außen" kaputt machen müsse. In ihrem Slang heißt das dann "von einem jenseitigen Menschheitsstandpunkt aus". Die Frage nach den ProduzentInnen dieser Gesellschaft und deshalb die Frage nach der revolutionären (Selbst-)Zerstörung dieser ProduzentInnen wird nicht mehr gestellt, eine allseitige "Wertvergesellschaftung" greife um sich. Niemand kann sich ihr entziehen, niemand kann dagegen kämpfen, weil alle in diesem Zusammenhang eingesperrt sind und nicht rauskommen. Vergessen sind die Zeiten von '68, in denen einige revolutionäre Momenten aufblitzten, vergessen die Errungenschaften von historischen Kämpfen (Achtstundentag, Sozialversicherung, etc.), vergessen die realen Bedingungen heute, in denen wir revolutionäre Prozesse aufspüren könnten - verdrängt, dass ArbeiterInnen und Arbeit keine Einheit bilden! Aber auch der "Wertkritik" ist ihre Attraktivität nicht abzusprechen. Wer Klassenkampf nur als Lohnkampf betrachtet, die ArbeiterInnen nur als Individuen, die unabhängig voneinander arbeitsgeil nach mehr Geld geiern und sich alles gefallen lassen, dann findet man in der "Wertkritik" sein/ihr Heil. Außerdem erhält man einen Bonus: Man kann sich über andere Leute stellen, weil man die Verhältnisse durchschaut hat und man mit seinem/ihrem Bewusstsein über den (sexistischen, rassistischen, antisemitischen, homophoben ...) ArbeiterInnen und (kapitalistischen ... ?) KapitalistInnen steht - plumpe Identitätspolitik à la "wir sind die Guten, ihr seid die Bösen". Reale Kämpfe kann man als "systemimmanent" denunzieren, man kann sich auf die faule Haut legen und zB. gerade stattfindende Streiks nicht mehr näher betrachten - "alles im Kapitalfetisch gefangen". Wer soll dann die Revolution machen? Aliens?

Traum und Wirklichkeit

Zugegeben, es mag etwas seltsam anmuten, heute was von "Revolution machen" zu schwafeln. Mittlerweile aber, nach einer langen Phase des Angriffs von oben ab Ende der 70er Jahre, Stichwort Privatisierung, Sozialabbau, Arbeitszeitverlängerung, Lohndumping, Ein-Euro-Jobs, Leiharbeit, usw. regt sich aber wieder Widerstand gegen den kapitalistischen Alltag. 2007 zB. war ein streikfreudiges Jahr. Allein in Deutschland fielen 580.000 Arbeitstage durch Streiks aus - so viel wie seit 1993 nicht mehr. In Heiligendamm nahmen 80.000 Menschen an den Protesten gegen den G8 Gipfel teil. Natürlich ist der Großteil der momentanten Streiks und der momentanen Protestbewegungen alles andere als revolutionär - meistens geht es in den Streiks um Standortsicherung, Arbeitsplatzerhaltung oder Lohnforderungen; in den Protesten geht es um Forderungen an Staaten à la "mehr kapitalistische Demokratie", gegen die bösen mächtigen Staaten, gegen die bösen mächtigen Konzerne, etc. - oft in vereinzeltem Ambiente; die weltweiten Kämpfe beziehen sich nur sehr wenig aufeinander, das ist das reale Problem des heutigen Klassenkampfs und das Problem der realen Möglichkeit einer besseren Gesellschaft. Aber trotzdem steckt in diesen Kämpfen eine kollektive Bewegung, ein kollektiver Lernprozess, der die herrschende Gesellschaft in Frage stellt. Im kollektiven Kampf gegen die Arbeit in der Arbeit (Negativität! Wut! Hass!), gegen den langweiligen, zwanghaften Alltag, d. h. gegen den Kapitalismus im Kapitalismus (wo soll das "außerhalb" bzw. der "jenseitige Menschheitsstandpunkt" der "WertkritikerInnen" liegen?) werden neue Horizonte sichtbar ... Und um von "Revolution machen" zu reden, musste man schon immer neugierig, offen, lernwillig (nicht langweilig! ...) und vielleicht sogar etwas verrückt sein.
(Öltsch)