Holloway, John (2002): Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen (Münster: Westfälisches Dampfboot, 2004/256 Seiten)

John Holloway ist in Dublin geboren und lehrt momentan an der Universidad Autónoma de Puebla in Mexiko. Er beschäftigt sich ausführlich mit marxistischer Theorie, deren Weiterentwicklung und dem Zapatistischen Aufstand. Holloway ist ein kompetenter Kenner des frühen italienischen Operaismus und der Kritischen Theorie. Beide Theorieschulen sind neben dem Zapaitismus die entscheidenden Pfeiler in diesem Buch.

Ausgehend von einem verneinenden "Schrei", der in uns Menschen als Erschrecken über die herrschenden Verhältnisse anzutreffen ist, begibt sich Holloway auf die Suche nach einem Weg, die Welt zu verändern ohne die Macht zu übernehmen. Er hält an der kritischen Kategorie des Klassenkampfs fest, kritisiert das Tun im Kapitalismus (= Arbeit), lehnt Identitätsdenken ab und schlüsselt gesellschaftliche Verhältnisse mit dem Marxschen Begriff des Fetischismus auf. Im Gegensatz zu dogmatischen MarxistInnen entlarvt Holloway die Machtübernahme des Staates als Reproduktion von unterdrückerischer Macht. Deshalb seien auch die vergangenen Revolutionen gescheitert. Holloway entwickelt zwei Begriffe von Macht: Einerseits den der instrumentellen (= unterdrückerische) Macht. Diese dient nur dazu, Menschen auszubeuten, sie der Mehrwertproduktion optimaler zu unterwerfen, d.h. diese Seite der Macht dient als Instrument des Kapitalismus und der Herrschaft. Dem entgegen steht der Begriff der kreativen Macht, die in uns allen als Verneinung existiert. Kreative Macht orientiert sich nicht am Verwertungsprinzp, sondern an dessen Überwindung, an der konkreten Veränderung der Verhältnisse. Diese konkrete Veränderung, die Zerstörung des Kapitals als gesellschaftliches Verhältnis, geschieht im Klassenkampf. Leider verhunzt Holloway aber diese starke Überlegung, denn für ihn ist die Arbeiterklasse (= alle direkt und indirekt Lohnabhängigen) zwar revolutionäres Subjekt, aber eines, das mensch "nicht sehen, untersuchen und organsieren" kann. Die Arbeiterklasse sei "Nicht-Identität" (S. 174). Warum jedoch sollte mensch einen Bauarbeiter, eine Putzfrau oder einen Student nicht "sehen, untersuchen und organsieren" können? Warum sollte er die Klassenzusammensetzung der Zapatistas nicht untersuchen können? Holloway driftet hier zu sehr in philosophische Sphären ab und verliert die konkrete Teilung der Menschheit in soziale Klassen aus den Augen.

Schließlich gelingt es Holloway aber in den letzten beiden Kapiteln der Revolution sehr nahe zu kommen: Der Kapitalismus ist ein krisenhaftes System, weil er versucht (es gelingt ihm nicht!), menschliche (= lebendige) Arbeit durch maschinelle (= tote) zu ersetzen. Maschinen kann mensch aber nicht ausbeuten und deshalb kann mensch aus ihnen keinen Mehrwert abpressen. Ein tendenzieller Fall der Profitrate, der sich in Börsencrashs, Handelskrisen und Krieg spürbar macht, ist das Resultat. Das hatte schon Marx analysiert, doch Holloway verdeutlicht seine Aktualität. Zusätzlich bricht er mit zwei traditionellen Krisenverständnissen: erstens als Krise für die Gelegenheit einer Revolution und zweitens als die einer "Neustrukturierung" des Kapitalismus, so wie es die neomarxistische Regulationsschule interpretiert. Die Revolution ist für Holloway die Verstärkung der Krise. Und diese Krise sind wir: Menschen, die nichts anderes haben, als ihre Arbeitskraft, die sie verkaufen müssen, um zu überleben.. Und damit ist das "Nicht-Ende" des Buches erreicht.

Holloway kann und will keinen "Weg zur Revolution" beschreiben, weil es soetwas nicht gibt. Der Suchprozess selbst ist nämlich schon revolutionär. Dialektisch präzise formuliert Holloway am Ende: "Dieses Buch hat kein Ende. Es ist eine Definition, die sich im selben Atemzug negiert. Es ist eine Frage, eine Einladung zur Diskussion." (S. 248) Oder wie die Zapatisten sagen würden: "Fragend gehen wir voran."

Was Holloway so kämpferisch und zugänglich macht, ist einerseits sein negatives Denken. Er versteht Marxismus als Kampf und nicht als Wissenschaft, die die natürlichen Erfordernisse der Kapitalreproduktion erfassen will (und somit affirmativ wird). Andererseits setzt er die Menschen als handelnde Subjekte. Menschen bestimmen und reproduzieren jeden Tag aufs Neue die kapitalistischen Verhältnisse. So herum gesehen, wird der Arbeits-, Waren- und Staatsfetisch überwindbar.

Ihr solltet das Buch alle lesen, denn es hilft, die vergangene praktische Kritik der gescheiterten Revolutionen mitzunehmen, zu erneuern und aus dem eigenen Alltag heraus den Kampf gegen den Kapitalismus sichtbar und führbar zu machen.
(Öltsch)