VOICES!
DAS STIMMENFESTIVAL

KULTURZENTRUM - UTOPIA - CULTURAL CENTER
VOICES! 1993





IST DER MÄNNERCHOR TOT?
Ende oder Zukunft des Männerchors




"Der Männerchor ist tot! Es lebe der Männerchor!"
In Abwandlung dieses bekannten Ausspruches: "Der König ist tot! Es lebe der König!" kann man auch für den heutigen Männerchor einiges ableiten.
Im deutschsprachigen Bereich geht der Männerchor nicht nur zahlenmäßig gegenüber anderen Gattungen wie Orchester oder gemischtem Chor stark zurück, es stirbt auch allmählich die Art des Singens und des früher Gesungenen aus. So wie das Leben des alten Königs zu Ende war, stirbt auch der alte Männerchor. Aber der König gab seinem Sohn und Nachfolger das Leben - er ist ihm sehr ähnlich. So ist es heute beim Männerchor.
Bis weit hinein in die Neuzeit war es nur den Männern erlaubt, in der Kirche zu singen ("Mulieres tacent in ecclesiae!" - Die Frauen haben in der Kirche zu schweigen!). Auch im weltlichen Bereich gab es in der Vokalpolyphonie des 16. und 17. Jahrhunderts "voces aequales", wobei die höheren Stimmen von Falsettisten ausgeführt wurden. In der Oper brauchte man zur Darstellung des Gefolges der Soldaten etc. ab dem 17. Jahrhundert Männerchöre, aber auch in geselligen Männerrunden begann man im 18 und 19. Jahrhundert das Lied zu pflegen. Michael Haydn (1737 - 1806), Carl Friedrich Zelter (1758 - 1832) und H.G. Nägeli (1773 - 1836) schufen eine Reihe von Kompositionen für Männerchöre. Auf ein künstlerisch hohes Niveau hob diese Gattung Franz Schubert (1797 - 1828), der zahlreiche Werke mit und ohne Klavierbegleitung schuf.

Der Männerchor wurde am Beginn des 19. Jahrhunderts auch ein Träger des neuerwachten vaterländischen Empfindens, das aber später extrem mißbraucht wurde. Einen zweiten Impuls für die Männerchor-Bewegung gab die Sammlung von Volksliedern und deren Bearbeitung für Männerchor. Friedrich Silcher (1789 - 1860) sammelte ab 1826 Volkslieder und setzte sie für vier Männerstimmen. Sie werden auch heute noch gerne gesungen. Auch in alpenländischen Gebieten kann man die beiden Arten des Männerchors, nämlich der bürgerlichen Liedertafel und des volkstümlichen Männerviergesangs, beobachten, wobei letzterem durch den Einfluß der meist ins alpenländisch-kitschige abschweifenden sogenannten "Nationalsänger", die die ganze Welt mit Tiroler Klischee-Liedern beglückten, kein guter Dienst erwiesen wurde. In den Alpenländern erhielt sich der Volkslied-Männerchor bis heute. Besonders in Tirol ist man bemüht, überlieferte alpenländische Lieder in schlichtem Chorsatz bei den verschiedensten Gelegenheiten zu singen. Das Volkslied wird im Jahresablauf, bei festlichen Anlässen, Sängertreffen und im religiösen Leben "gebraucht" und stirbt daher nicht aus.
Hat der Männerchor heute noch Zukunft?
Er hat nur dann eine Zukunft, wenn er

1. gewünscht und gebraucht wird,
2. den Anschluß an das "Heute" nicht versäumt und
3. auch die Jugend für eine aktive, mitten im Leben
stehende Funktion begeistern kann.

Siegfried Singer
Chorleiter Mühlauer Sänger





MÜHLAUER SÄNGERVEREINIGUNG




MÜHLAUER SÄNGERVEREINIGUNG Ferdinand Csajka (1894 - 1954) gründete 1920 die Sängervereinigung Mühlau mit dem Bestreben, das überlieferte Volkslied auch im Chorgesang zu pflegen. Nicht ohne Stolz können die Mühlauer Sänger mittlerweile auf mehr als 70 Jahre Chortätigkeit zurückblicken und sich auf ein musikalisches Repertoire stützen, das geprägt ist durch eine sorgfältige Auswahl der jeweiligen Chorleiter, und aus zahlreichen überlieferten Volkssätzen, Originalkompositionen "Alter Meister" und vielen Liedsätzen besteht, von Josef Pöll, Franz Josef Sigmund, Sepp Thaler, Willi Homolka bis zu Siegfried Singer, der seit 1980 Chorleiter der Mühlauer Sänger ist. Mit Auftritten im In- und Ausland, Rundfunk- und Fernsehaufnahmen, Schallplattenproduktionen und dem jährlichen Mühlauer Sängerball erlangten sie einen Bekanntheitsgrad, der über die Grenzen Tirols hinaus reicht, und zählen heute sicher zu den besten Interpreten des alpenländischen Volksliedes.





MIESKUORO HUUTAJAT




MIESKUORO HUUTAJAT Am 6. Dezember, dem finnischen Unabhängigkeitstag, betraten 20 Männer aus Oulo unter der Leitung von Petri Sirviö die Bühne. In schwarze Anzüge gekleidet "schrieen" sie die beliebtesten finnischen Volkslieder im Rahmen eines Unabhängigkeitsballes. MIESKUORO HUUTAJAT (übersetzt: "Chor der schreienden Männer"), wurde in Folge auf 30 Männer erweitert und das Konzept ausgebaut. Ihr Repertoire enthält vor allem Volkslieder, Kinderlieder und Hymnen. Melodie und Text werden bearbeitet und neu arrangiert. Der Charakter der bearbeiteten Stücke wird vor allem durch die komplexen, rhythmischen Strukturen wesentlich bestimmt. 1988 erschien ihre erst EP "Pohjoinen kotimaamme", eine Sammlung finnischer Volkslieder. Sechs Nationalhymnen (von Finnland, Schweden, Norwegen, Deutschland, USA und der früheren UdSSR) wurden auf ihrer zweiten EP "Six National Anthems" veröffentlicht.
Die erste Phase von MIESKUORO HUUTAJAT ist auf der EP "Pohjoinen kotimaamme" (Palophone 777-1385536) dokumentiert, die 1988 Nummer 8 der finnischen Single-Charts erreichte. Diese EP enthält in erster Linie finnische Volkslieder. Ab diesem Zeitpunkt an erweiterte der Chor sein Repertoire auf Arbeits- und Kinderlieder und Hymnen.
Sechs Nationalhymnen (Finnland, Schweden, Norwegen, Deutschland, USA und die frühere UdSSR) wurden auf ihrer zweiten EP "Six National Anthems" (PIS 283) veröffentlicht.
MIESKUORO HUUTAJAT traten erstmals in Österreich auf und erarbeiteten für Ihr Innsbruck-Gastspiel eine ihrem künstlerischen Konzept entsprechende Interpretation von Tiroler Volksliedern und der Österreichischen Hymne.





MAGDA VOGEL & BRIGITTE SCHÄR
Improvisierte Gesänge a capella




magda vogel Seit 1992 arbeiten Brigitte Schär und Magda Vogel als "improvisierende Vokalistinnen der avantgardistischen Art" zusammen. Ihrem stimmlichen Spektrum sind keine Grenzen gesetzt. Die zwei Sängerinnen erlauben sich, wonach immer sie Lust haben und wonach ihnen zu Mute ist und beschreiten so - sich in ihrer Verschiedenartigkeit ergänzend - wundersame Wege der Musik, solistisch und im Duo. "Eine Stunde taucht das Publikum in improvisierte Musik. Wie festgeschraubt stehen die beiden Sängerinnen da, bewegen ihre hellen Hände und Köpfe, manchmal auch den Körper, je nach Temperament. Sofort kommen die einzelnen Ausdrucksarten und -vorlieben der zwei Vokalistinnen zutage. Die schwarz- weiße Kleidung, gepaart mit der Gestik, erinnert entfernt an den Illusionisten im Zirkus, der mit seinen Händen das Publikum in seinen Bann zu ziehen vermag. Die zwei Sängerinnen erreichen dasselbe mit ihren Stimmen." (Zitat "Ostschweiz")
Die Beschreibung der Art der Musik, die diese Künstlerinnen eigen macht, ist so schwierig wie die Faszination, die von der Performance selbst ausgeht. Von den tiefsten Baßtönen bis zu schrillen Höhen weit über der Skala eines "singbaren" Tones, von leisen Knurr- oder Zischlauten bis hin zu nervenzersägend grellen Dissonanzen reicht das Repertoire der Künstlerinnen.
Ausgehend von der Vokalformation "Eisgesänge" (1988 - 1992) hat sich die musikalische Zusammenarbeit der beiden Schweizer Sängerinnen kontinuierlich weiterentwickelt.
Im Oktober 1988 wurde in Zürich im Rahmen der Koprodukte die erste Komposition mit dem Titel "Eisgesänge, auf die Spitze getrieben- improvisierte Musik für drei Frauenstimmen a capella" uraufgeführt. "Ménage à trois", die zweite Komposition, folgte im Dezember 1989. "New Voices" war die letzte Produktion in der Trio-Formation.

Brigitte Schär
1958 geboren, lebt sie zur Zeit in Zürich. Nach einer klassischen Gesangs- und Sprechausbildung (1977-1989) ist sie als Sängerin im Bereich der frei improvisierten Musik und des experimentellen Jazz tätig. Sie arbeitete u.a. mit Pierre Favre, Hans Kennel, Corin Curschellas, Hans Koch, Bruno Spoerri, Reto Weber, John Wolf Brennan, Nana Twum Nketia, Emilien Sanou, Daniele Patumi. Multimediale Projekte im Bereich Tanz, Video und Film entstanden in Zusammenarbeit mit Muriel Bader ("Vier Fäuste und ein guter Tag",1988), mit Gido Dietrich ("Mensch, Maus, Masse, Macht",1989) und mit Uschi Janowsky und Judith von Tessin ("Fortschritte",1990), u.a. Von 1988 bis 1992 gehörte sie dem Vokaltrio "Eisgesänge" an, seit 1991 arbeitet sie in der Schweiz mit Reto Weber und Bruno Spoerri, in den USA mit LaDonna Smith und Jeffrey Morgan zusammen.

Magda Vogel
Sie wurde 1955 geboren und lebt in Zürich. Neben ihrer Gesangsausbildung bei Mirka Yemen Dzakis arbeitete sie u.a. mit Thomas Bächli (Lieder von Charles Ives, 1985-1987), Andreas Bosshard, Irene Schweizer, Mani Neumeier, Ernst Thoma, Laura Gallati, Markus Eichenberger und Hans-Rudolf Lutz zusammen. Mit der Multimedialen Rockband UnKnownmiX (1983-1992) veröffentlichte sie 5 LP´s sowie ein Live Video "for eyes and ears". Dem Vokaltrio "EISGESÄNGE" gehörte sie von 1988-1992 an, der Frauenpoprockband Domina Dea seit 1992.





YILDIZ IBRAHIMOVA
Zwischen Tradition und Avantgarde




Mit einem Stimmumfang von vier Oktaven versucht die ausgebildete Opernsängerin eine Verbindung von bulgarisch- türkischer Volksmusik mit Jazz, Avantgarde und frei improvisierter Musik zu schaffen. Nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt im Bulgarischen Rundfunk (1978) folgten Einladungen zu internationalen Festivals, die sie bis nach Japan und Mexiko führten.
Als Solokünstlerin arbeitet sie u.a. mit Antoine Herve, Francois und Luis Montin, Ives Robert, Anatoli Vapirov, Peter Kowald, Urs Leimgruber zusammen. Neben der Mitarbeit beim Bulgarischen Radio und Fernsehen nimmt sie an zahlreichen Projekten des "Experimentellen Studios für Elektronische Musik und Computermusik" teil.

Discographie:

  • LP - Turkish folk songs (Balkanton BMA 10675-1979)
  • LP - Naissus jazz-81 (Discos LPD-1018)
  • LP - Jazz and something more (Balkanton BTA 12158-1987)
  • LP - The gil with the lovely eyes (Balkanton BTA 12275)
  • LP - Illusory eternity (Balkanton BTA 126433-1990)
  • CD - Paris-Zagreb (ZZ 84102, AD 184-ADDA-1991)
  • CD - Illusory eternity (Balkanton ADD 070083-1992)
  • CD - Hard way to freedom (AVA-Records - AAD 0001-1992)





DER TRALLALERO
Urbane Folklore aus Genua




Der folgende Artikel ist (gekürzt) dem Begleittext zur LP "Canti popolari di Ligura. La polivocalita valligiana. Il Trallalero" entnommen, herausgegeben und verfaßt von Edward Neill (Musikethnologe). Übersetzung: Brigitte Herdin

Grundsätzlich läßt sich klar zwischen einer urbanen Volksmusik und einer Volksmusik aus den Tälern unterscheiden. Erstere ist wesentlich lebendiger und knapper, letztere hat einen natürlichen Hang zur Verlangsamung der Tempi und zur monovokalen Balladel. Diese zwei unterschiedlichen Grundhaltungen erklären sich aus den unterschiedlichen Wesenszügen der Bewohner des maritimen Liguriens und des bäuerlichen Liguriens - eine Unterscheidung, die schon in Vorzeiten existierte. (Der Autor des Artikels unterscheidet geographisch zwischen dem maritimen Ligurien, womit hier insbesondere die Provinzhauptstadt Genua gemeint ist, und dem bäuerlichen Ligurien, worunter die Täler des unmittelbaren Hinterlandes zu verstehen sind. Anm.d.Übersetzers).
Der Trallalero ist in Genua die charakteristischste und komplexeste Form des polyphonen Gesanges. Er rührt aus dem für den Genuesen als Küstenbewohner typischen Bedürfnis nach Knappheit her; man ist gewöhnt, mit wenigen Worten alles zu sagen, und überzeugt, daß die eigene Individualität nur in einem kollektiven Zusammenhang in Erscheinung tritt, immer jedoch mit der gewissen Reserviertheit, die für den genuesischen Charakter typisch ist. So erklärt sich, daß man den einstimmigen Gesang im urbanen Ambiente Genuas kaum findet.
In seiner heutigen Form hat er sich wahrscheinlich in den 20ern dieses. Jahrhunderts entwickelt, auch wenn er für Zeitzeugen bereits im 19. Jahrhundert existierte. Das Vorhandensein von Falsettstimmen verweist in der Tat darauf, daß er sehr antike Wurzeln besitzt, vor allem wenn man weiß, daß in den Musikkapellen Genuas im 16. Jahrhundert männliche Sopran- und Altstimmen aus dem Volk auftraten. In einer anderen, und im übrigen unbestätigten These wird der Ursprung des Trallalero in Matrosenliedern vermutet, in denen die Falsettstimme vom Schiffsjungen gesungen wurde. Diese These ist unwahrscheinlich, nicht zuletzt deshalb, weil im Trallalero kaum jemals das Meer oder das Leben auf dem Meer besungen wird.

Der Trallalero besteht aus fünf Stimmen: Falsett (cuntrètu), Tenor (primmu), Bariton (secundo oder cuntrubassu), Gitarre (chitarra; wobei hier nicht das Instrument selbst gespielt, sondern sein Klang mit dem gegen die Lippen gedrückten Handrücken nachgeahmt wird) und mindestens drei Baßstimmen. Es singen also mindestens sieben Personen, die in einem geschlossenen Kreis Aufstellung nehmen (wie bei den Chören der Cantaèle und Cantégue), sodaß sie einander sehen und ihre Einsätze koordinieren können. Den Mittelpunkt eines solchen Stimmenkreises bildet nicht selten ein Tisch, auf dem unzählige Flaschen Wein bereitstehen, der den Gesang anregen und Hemmungen abbauen soll.
Die Tonart des Trallalero variiert zwischen G-Dur und A-Dur. Häufig führt die Neigung der Sänger, mit dem Singen zu wachsen, dazu, daß die Ausgangstonart bis zu einem halben Ton angehoben wird. Innerhalb einer vorher bestimmten Harmonie können die Stimmen frei diatonisch geführt werden, wobei es auch zu so spannungsreichen Akkorden wie Sekunden, Septimen und Oktaven kommen kann. Das gesangliche Endprodukt gleicht daher oft einem harmonischen Pasticcio mit improvisierten Dissonanzen, die jedoch immer innerhalb der ursprünglichen Tonart und Liedstruktur bleiben. Damit unterscheidet sich der Trallalero grundlegend von den polyphonen Gesängen des Genueser Hinterlandes und auch von jenen Gesängen, die bei Piacenza unter dem Namen Trullalero bekannt sind. Letztere haben mit dem Gesang aus Genua nichts zu tun. Die Stimmen des Trallalero bewegen sich innerhalb einer Oktave. Der Rhythmus alterniert zwischen Zwei- und Dreivierteltakt. Das immer am Schluß stehende Ritornell, welches dem Trallalero seinen Namen gibt, ist eine Variation der Harmonie des Liedes mit reichhaltigen Improvisationen über der Grundmelodie. Zu den typischen Trallaleri zählen der sehr bekannte "Bacicin vatten 'a ca", dessen erster Vers nach dem Schema AAB wiederholt wird, und "La partenza da Parigi". Beide sind Klassiker im Trallalero-Repertoire. Es gibt noch eine andere Form, bei der unter Beibehaltung der Einstrophigkeit verschiedene Trallaleri zu einem verschmolzen werden. In Genua hat diese Form den Namen "remescellu" (Mischung). Es gibt nur wenige niedergeschriebene Überlieferungen des Trallalero ..... ebenso geringzählig sind Autoren, die in den vergangenen Jahrhunderten auf die Volkstradition in Ligurien eingegangen sind. Immer wurde das Volk als wenig produktiv beschrieben, was auf die rigide Moral dieser Vergangenheit zurückzuführen ist, die die volkstümlichen Tänze und Gesänge nur als Degeneration und gefährliche Unordnung begriff .....
Und auch später scheinen Wissenschaftler, mit Ausnahme eines Aufsatzes von einem gewissen Pratelli, an der Vertiefung über dieses Thema nicht sonderlich interessiert, wohl immer noch in der Überzeugung, Ligurien besäße keine eigenständigen Traditionselemente. Die Tatsache aber, daß der Trallalero bis heute in den Gaststätten gesungen wird, auch wenn dies selten geworden ist, gibt uns ein leuchtendes Zeugnis dafür, daß eine Musikgattung, die in der Geschichte der italienischen Volksmusik einzigartig ist, überlebt hat und weiterlebt.

La Giovane

Erstmals außerhalb Italiens wird das 1989 gegründete Vokalensemble La Giovane ("Die Jungen") auftreten. Die zehn Sänger von La Giovane kommen aus Mignanego, einem Ort im Val Polcevera bei Genua und sind nicht nur wegen ihres Gründungsjahres als "jung" zu bezeichnen, sondern auch aufgrund ihres Durchschnittsalters. Dies ist vielleicht deshalb interessant und daher hervorzuheben, weil in den wenigen noch verbliebenen Gruppen, die den Trallalero singen, eindeutig alte Männer überwiegen. Derzeit arbeitet die Gruppe an einer Musikkassette und einer CD zur Geschichte des Trallalero.





SARDEGNA - QUASI UN CONTINENTE
Sardinien - ein Kontinent




Sardinien - ein Kontinent. Diese oft gehörte Bezeichnung für die große Insel im Mittelmeer bekommt nicht nur dann ihren tieferen Sinn, wenn man weiß, daß dort Sardisch gesprochen wird, und Italienisch als offizielle Staatssprache erst an zweiter Stelle steht. Auch die sardische Kultur behauptet sich selbst im Zeitalter der Technologisierung mit großer Vehemenz.

Der Tenore Gesang
In der sardischen Volksmusik spielt der polyphone Gesang mit dem Namen a tenore eine besondere Rolle. Er wird hauptsächlich im nördlichen und östlichen Zentralteil der Insel gesungen. Das dazugehörige Stimmenensemble (su tenore) ist immer gleich strukturiert. Es besteht aus einem Solisten im Vordergrund, der den Text des Liedes singt, und drei weiteren Männerstimmen, die im engen Verbund miteinander im Hintergrund Silbengebilde intonieren. Diese Anordnung finden wir im gesamten Gebiet. Sie erlaubt es, Lieder in verschiedenen Stilen und der verschiedenen Gattungen zu singen.
Das a-tenore-Repertoire ist sehr variantenreich: langsame Lieder mit ernstem Inhalt, poetische Gesänge zur Liebesthematik, religiöse Lieder, Wiegenlieder, sowie auch Tänze, die in drei Gruppen unterteilt werden können: ballu, su dillu, su pasu torrau. Außerdem können die drei Begleitstimmen als Chor, der dann oft su concordu genannt wird, auftreten, der den gesungenen poetischen Inhalt begleitet. Der a tenore wird in speziellen Techniken gesungen. Auf der einen Seite stehen die für den gesamten Mittelmeerraum charakteristischen hochstimmigen, spannungsreichen, nasalen Stimmen mit großer Resonanz und in den höchsten Tonlagen (boghe und contra). Andererseits werden durch eine spezielle Technik die Stimmen in tiefe Lagen hinuntergedrückt, wo sie nicht mehr nasal klingen, um Obertöne hervorzubringen zu können.
Alle vier Stimmen des a tenore haben unterschiedliche Register und verschieden große Freiheit zu improvisieren. Die tonale Reichweite und die sängerische Freiheit wird umso größer, je höher die Stimmlage ist. Die unteren Stimmlagen bleiben starr, das heißt, sie verharren die meiste Zeit auf einer Note, deren Färbung sich lediglich durch die Verwendung verschiedener inhaltsloser Silben wie "bim, bam, bum", "nin, nan, ne" oder "bem, bam, bum" verändert. Die mesa boghe besitzt in Melodie und Rhythmus schon weitergefaßte Möglichkeiten der Ausschmückung. Die größten Freiheiten werden dem Solisten zugestanden.
Der a tenore ist aus diesen Gründen die wohl eigenwilligste Kunst der Sarden. Als polyphoner Gesang ist er darüber hinaus der einzige auf dieser Insel, der ausschließlich der profanen Existenz entspringt. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, daß man den a tenore heutzutage auch als Instrumentalmusik (zumeist auf der diatonischen Ziehharmonika gespielt) wiederfindet, in der vor allem die Tänze des a tenore nachgeahmt werden.

Aus: Bernard Lortat-Jacob, Polyphonies des Sardaigne,
LE CHANT DU MONDE LDX 274 760
Übersetzung: Brigitte Herdin

REMUNNU 'E LOCU Im Laufe ihrer zwanzigjährigen Tätigkeit (seit 1974) haben die Tenores von Bitti (Region Nuoro) nicht nur auf fast jeder Piazza Sardiniens gesungen; sondern auch zahlreiche Tourneen in Europa, den USA, Südamerika und Australien unternommen. Sechs Jahre hintereinander gewannen sie den ersten Preis des "Festival del Redentore", Kategorie Canti a Tenores und wurden 1992 mit den höchsten Auszeichnungen, die Sardinien zu vergeben hat, geehrt- mit dem Preis "Maestri del Folklore", den der Tourismusverband von Nuoro vergibt und dem "Premio Sardegna", den viele als "kleinen sardischen Nobelpreis" bezeichnen. 5 MC's, 3 LP's und 2 CD's (letztere sind noch nicht im Handel) dokumentieren das künstlerische Schaffen von Remunnu 'e Locu.

Die Mitglieder:

  • Daniele Cossellu, 61 Jahre, Kopf der Gruppe;er singt "oche e mesu oche" (Solostimme und Gesang mit halber Stimme)
  • Tancredi Tucconi, 62 Jahre;"contra" (Gegenstimme)
  • Salvatore Bandini, 71 Jahre;"bassu" (Baß)
  • Piero Sanna, 52 Jahre;"oche e mesu oche"(Solostimme und Gesang mit halber Stimme)





TAMIA & PIERRE FAVRE
Voice & Percussion




Tamia wurde 1947 in Frankreich geboren. Mit vier Jahren erhielt sie Klavierunterricht von ihrer Mutter, später studierte sie Musik und klassischen Gesang, bevor sie sich 1972 für Jazz und improvisierte Musik zu interessieren begann.
1978 veröffentlichte sie die Platte "Solo", 1981 erschien "Senza Tempo" Mit einer Stimme, die vier Oktaven umfaßt, evoziert Tamia eine Vielzahl instrumentaler Klangfarben und eine Art des Singens, die von außerordentlicher Musikalität, perfekter Technik und poetischer Eingebung erfüllt ist.
Pierre Favre, in der Schweiz geboren, studierte Komposition und Klavier und war zunächst einer der führenden Musiker im europäischen Free Jazz, bevor er sich einer mehr melodiös orientierten Spielweise zuwandte. Dies führte zu einer Veränderung seines Instrumentariums, zu einer Erweiterung der melodischen Möglichkeiten des konventionellen Schlagzeugs. Ausgedehnte Tourneen und sein Interesse für andere Musikkulturen führten Pierre Favre um die ganze Welt. Er arbeitete mit afrikanischen, indischen und brasilianischen Perkussionisten zusammen. 1986 wurde seine Komposition "Metaphora", ein Stück für Solo-Perkussion und Orchester uraufgeführt. Zusammen mit Tänzern und Choreographen schrieb er Musik für Theater und Film."Pierre Favre macht niemals Lärm, alles was er berührt, verwandelt er in Melodie und Rhythmus. Diese Verbindung von Stimme und Klang, die subtile Eigenart zweier Künstlerpersönlichkeiten findet nicht ihresgleichen, sie schaffen in perfektem Zusammenspiel eine Musik von innerer Konsequenz und lautmalerischer Vielseitigkeit, wie sie selten zu hören ist." (Neue Züricher Zeitung)

Discographie:
Pierre Favre Ensemble, "Singing Drums" (ECM 1274)

Tamia:
"Solo" (T.Records)
"Senza Tempo" (T.Redords)

Tamia & Pierre Favre
"Blues For Pedro Arcanjo" (T.Records/Gemini 1983)
"de la nuit ... le jour" (ECM 1364)
"Solitudes" (EDM 1446)

In Zusammenarbeit mit dem Französischen Kulturinstitut





LAUREN NEWTON & GRACE YOON
Die Sprache einer Sängerin und einer Performerin




Auf der Basis einer umfassenden Gesangsausbildung mit dem Schwerpunkt Neue Musik entwickelte die gebürtige Amerikanerin Lauren Newton einen instrumental / perkussiv orientierten Gesangsstil, der in seiner technischen Perfektion, der stimmlichen Dimensionierung, aber auch durch die Phantasie, mit der sie die musikalischen Materialien überraschend kombiniert, überzeugt und fasziniert. Mit Aufnahmen von "Vocal Summit", und vor allem als herausragende solistische Stimme des Vienna Art Orchestra (dem sie 10 Jahre lang angehörte) bekannt geworden, zählt sie heute zu den wichtigsten Vokalstimmen des Jazz und der neuen Musik.
Die koreanische Performance-Künstlerin Grace Yoon gilt als Spezialistin für vielfältige Klangrituale und wird mitunter als "reisende Performerin zwischen Europa, dem Orient und Mittelamerika" beschrieben. Grace Yoon, in Pusan geboren, zog 1966 in die USA und lebt seit 1975 in Deutschland. Sie studierte Kunst und Performance an der London Art Academy, schrieb Klanghörspiele für den Rundfunk und wirkte als Solo-Performerin in zahlreichen internationalen Theater-, Film- und Musikproduktionen mit. Für VOICES! konzipieren Lauren Newton und Grace Yoon ein eigenes Stück - SUCHT - eine abstrakte Stimm-Performance, die im grenzüberschreitenden Freiraum von Stimme, Bild und Bewegung existiert.

Discographie:

  • Lauren Newton (sie hat auf fast 40 Schallplatten mitgewirkt, im Folgenden sind nur ihre Solo-Werke angeführt)
  • Timbre, HatArt 1982
  • 2nd Room, 2nd Conversation,
  • Extra Platte 1985
  • Voiceprint, Extra Platte 1988
  • Grace Yoon (Hörspiel)
  • Tunguska-guska, BR 1991, CD Faruk Music über dem meer das weniger, BR 1992
  • Goldberg, BR 1989, CD Rough Trade
  • Kein roter Fa..., BR 1989, CD Gertraud Scholz

Der folgende Auszug aus einem Interview mit Lauren Newton, erschien im Jazz-Podium, Nr. 7/8 Juli/August 1990. Das Gespräch führte Kascha Kumpf:


Sie haben einmal erwähnt, daß jemand folgende Äußerung über Sie getan hat: "Sie ist die weißeste Jazzsängerin, die ich je gehört habe." Wie stehen Sie heute zu diesem Kommentar?

Ich habe mich nie darum gekümmert, ob ich weiß bin oder schwarz. Denn ich glaube, daß die Musik wirklich eine universelle Sprache ist, besonders so wie ich sie betreibe. Da sollte es überhaupt keine Grenzen geben, egal wo sie herkommt, sei es von Afrika oder vom Nordpol. Die musikalischen Ideen, die ich realisiere, dienen der Freude oder wenigstens der unterbewußten oder bewußten Stimulation - so kann man es vielleicht auf den Punkt bringen. Ich möchte, daß die Leute auf anderen Wegen wandeln und auf neue Gedankengänge kommen, wenn sie meiner Musik lauschen. Das ist natürlich keine Unterhaltungsmusik im Sinne amerikanischen Entertainments. Andererseits fühlen sich viele Leute unterhalten durch meine visuell-szenische Gestik, die ich in den letzten Jahren immer weiter ausgebaut habe. Ich spreche hier hauptsächlich von meiner Trio-Musik, denn hier kann ich mich künstlerisch am besten verwirklichen.

Wie sieht Ihrer Meinung nach die zukünftige Entwicklung des kreativen Musizierens aus?

Der heutige Jazz fusioniert ja mit vielen anderen Musikströmungen. Tatsächlich ist Jazz ein strapazierter Begriff. Die Leute neigen dazu, vorgefaßte Meinungen zu zementieren von dem, was Jazz angeblich zu sein hat. Für mich war Jazz immer eine Art von musikalischer Entwicklung und von Experiment - und auch etwas Radikales. Nun ist "Jazz" zu einem Modewort geworden: da gibt es Jazz im Rock, Jazz im Pop. Jazz in fast jeder Musikart, nur weil es eben "in" ist. Ich betrachte die Musik, die ich mache, nicht nur als Jazz. Sie hat gewiß einige Elemente davon, aber ich betrachte sie mehr als eine Musik der Zeit. ..... Improvisation ist meine Stärke, und ich ziehe vor, das weiterhin zu machen, was ich gegenwärtig tue, auch wenn dies kein Millionenpublikum hat .....

Welche speziellen künstlerischen Erfahrungen haben Sie durch Projekte wie "Vocal Summit" und "Voc-4" gewonnen?

Künstlerische Erfahrungen - Es ist schwierig, genau zu sagen, was dies überhaupt ist. Aber wenn man mit anderen Leuten zusammenarbeitet, die das gleiche Instrument spielen, die mit demselben Instrument arbeiten, hat man eine breite gemeinsame Basis. Man kann Erfahrungen austauschen, ohne daß man - wie in meinem Fall - singt: nur durch lange Diskussionen, und das ist für mich eine wertvolle Erfahrung. Technische Dinge ..... Ich bin mir da nicht sicher - außer daß ich lernen kann, wie man sich auf der Bühne präsentiert, wie man mit dem Publikum und den musikalischen Partnern kommuniziert. Ich glaube, in dieser Umgebung habe ich mehr gelernt als irgendwo anders.

Wie setzen Sie die Elektronik in Ihrer Musik ein?

Die einzigen elektronischen Effekte, die ich versucht habe einzusetzen, weil ich dachte, sie wären interessant, waren Nachhall und natürlich ein künstliches Echo, außerdem direkt daran angrenzende Soundmutationen und ein "Chor-Effekt", der meine Stimme sozusagen verdoppelte. Und schließlich ein unheimlicher, fremdartiger Effekt, jedoch nur bei ganz wenigen Gelegenheiten. Ansonsten halte ich mich von der Elektronik so weit wie möglich zurück, weil ich mehr Freude daran habe, all diese Dinge mit meiner "nackten" Stimme und dem bloßen Mikrophon zu versuchen.

Soll Ihr Einsatz von (quietschendem und scharrendem) Plastikspielzeug einen Kontrapunkt zur technisierten Welt versinnbildlichen?

Ja, so kann man das ganz genau ausdrücken. Jeder von uns wuchs mit derartigen Spielsachen auf, die meisten Leute können sich daran gut erinnern. Wenn sie etwa selbst keine Geräusche erzeugenden Spielsachen hatten, dann machten sie eben selbst die dazugehörenden Geräusche, um mehr Freude am Spiel zu haben. Wenn man einen kleinen "stummen" Lastwagen hat und diesen auf dem Fußboden schiebt, macht man halt selbst "trrrmmm...". So betrachte ich die Spielzeuge als ein Merkmal, das wir vergessen und verdrängt haben: den Klang des täglichen Lebens zu imitieren und Sachen zu tun, die wir mit unserer Stimme in der Kindheit praktizierten.

Mit welchem Berufsziel haben Sie studiert? Haben Sie bereits konkret daran gedacht, im avancierten Jazz eine Profikarriere zu machen?

Nein, ich studierte ursprünglich Klassik und die Musik des 20. Jahrhunderts. Ich bevorzugte moderne Stile, weil sie experimenteller waren. Damals, also vor rund 12 Jahren, gab es kaum eine Möglichkeit, Jazz zu studieren oder viel auf diesem Sektor zu tun. So entstand bei mir alles aus meinem Experimentiertrieb heraus innerhalb der verschiedenen Ensembles, bei denen ich mitwirkte. Es entwickelte sich sehr langsam und stetig. Weil zu jener Zeit außer Jeanne Lee und Urzula Dudziak kaum Sängerinnen da waren, die wirklich neue Dinge schufen, hatte ich auch niemanden, den ich kopieren konnte. Ich mußte meine eigene Sprache entwickeln. Und der Entwicklungsprozeß geht weiter und weiter .....





JODELN
Wo liegen die Ursprünge?




Erst seit dem späten 18. Jahrhundert ist das Wort "Jodeln" bekannt und auch die Sache selber, wie wir sie heute kennen, wird nicht viel älter sein.

Ähnliche Phänomene aber führen uns weit in geschichtliche Tiefen und sind auf der ganzen Welt verbreitet: Singen auf Silben ohne Wortbedeutung mit ausgeprägtem Registerwechsel zwischen Kopfstimme und Bruststimme.

Wo liegen die Ursprünge? Es ist Freiluftmusik, verbunden mit Arbeit und Kult. Bei vielen Hirtenvölkern gibt es die schrillen Schreie, mit denen man sich über weite Entfernungen verständigt, und mit denen man vor allem auch die Tiere ruft. Die Jodlersilben könnten eine orphische Tiersprache sein, oder Reste einer frühgeschichtlichen Sprachentwicklung. Viehlockrufe, wie sie in Österreich und Skandinavien aufgezeichnet worden sind, beginnen immer ganz kopfig in hoher Lage und springen dann ins warme, mütterliche Brustregister. Die Tiere spitzen die Ohren und eilen herbei, wie von Leuten mit einschlägiger Erfahrung (Sennerinnen, Hirten und Zirkusdirektoren) glaubwürdig versichert wird.
Auch das Jodeln der Pygmäen, das dem der Tiroler nicht unähnlich ist, hat mit Tieren zu tun: die pygmäischen Männer jodeln, bevor sie zur Jagd ausziehen, und klopfen mit dem Jagdmesser den Takt dazu. Das sind natürlich keine Lockrufe, schon eher Beschwörungen jener Geister, die für das Jagdglück verantwortlich sind. Die geistige Jodel-Dimension: wir singen, wie mit zwei verschiedenen Stimmen, mit einer Geisterstimme und einer Menschenstimme.
Im Salzkammergut und in der Innerschweiz halten die Jodler einen oder beide Zeigefinger an die Ohren oder die Jochbeine. Verstärkt es die Resonanz? Ist es ein Mudra wie bei den buddhistischen Mönchen? Ein physioenergetischer Punkt? Die einzige Erklärung der alten Sennerin ist, daß man das eben so tut.
Die erste Urkunde über das Jodeln - oder wie man noch im Mittelalter sagte: "jolen" - in den Alpen finden wir in einem Märtyrerbericht aus dem Trentino. 397 n.Chr. wurden am Nonsberg drei christliche Missionare von den heidnischen Anaunen erschlagen. Die "strepentes et horridi jubili pastorales" - die erschreckenden und fürchterlichen "Jubili" der Hirten bei ihren Kultfesten - waren dem Berichterstatter noch im Ohr, ebenso wie das "ululare". Jodeln? Erst 1400 Jahre später, 1796, taucht der erste Beleg für das Wort "Jodeln" in E. Schikaneders Lied "Die Tyroler san often so lustig und froh" auf; dort heißt es: "sie jodeln und singen und thun sich brav um".

Tatsächlich waren es vor allem die Tiroler Nationalsänger, die von dieser Zeit an das Jodeln in seiner österreichischen Variante weit über die Grenzen ihrer Heimat hinaus bis nach Amerika bekannt gemacht haben. Es ist inzwischen zu einer Kunstform geworden und nicht mehr an Hirtenkultur und Almleben gebunden, eher ans Wirtshaus. "Dudeln", wie die Wiener sagen, ist auch eine Nachahmung der Instrumentalmusik und entwickelt eine reiche und kunstvolle Mehrstimmigkeit. Hauptverbreitungsgebiet ist in Österreich die Obersteiermark mit Ausstrahlungen ins niederösterreichische Schneeberggebiet und bis Wien, ins Salzkammergut und die Enns entlang ins Salzburgische.

Gerlinde Haid
(Musikethnologin)




HOCHFELLNER DREIGESANG




Zum Hochfellner Dreigesang gehören drei Geschwister aus Bad Mitterndorf im Steirischen Salzkammergut: Cäcilia, verheiratete Hillbrand, Versicherungsangestellte, Jakob, kaufmännischer Angestellter, und Josef, Sägemeister. Sie singen von Kindheit an gemeinsam das Repertoire, das sie aus der Tradition des steirischen Salzkammergutes übernommen haben, also hauptsächlich Almlieder und Jodler, bereichert durch vieles, was ihnen gefällt und was in den von Rundfunk und Schallplatten geprägten Zeit "in der Luft" liegt. Die Stimmführung ihrer Jodler ist manchmal höchst kompliziert, wie es in der Volksmusik sonst kaum vorkommt. Die deutliche Registertrennung läßt die Konturen der Melodien hervortreten und gehört zum Spiel mit den verschiedenen Lagen und Zusammenklängen.




TELFER DREIGESANG




Der Telfer Dreigesang besteht seit 1975. Ursprünglich ein Männerdreigesang und nach dem Ausscheiden des 1. Tenors einige Zeit als Duo formiert, singen und musizieren Martha Mauracher (Hausfrau, 1. Stimme), Josef Strolz (Pensionist, 2. Stimme) und Peter Reitmeir (Musikerzieher, 3. Stimme und Harfenbegleitung) seit 1988 in dieser Besetzung. Hauptanliegen der Gruppe ist die Pflege des überlieferten Tiroler Volksliedes und des Jodlers, wobei im besonderen auf traditionelle Singweise, die Schlichtheit und Natürlichkeit des Vortrages Wert gelegt wird. In erster Linie singt der Telfer Dreigesang zur eigenen Freude, gelegentlich treten sie bei Musikantentreffen oder ähnlichen Anlässen auf.




DER JODEL IN DER SCHWEIZ
Chueraiheli, Gaisslä-chlepfä und Jüüzli




In der Schweiz ist der Jodel hauptsächlich auf der Alpennordseite verbreitet. Er ist nur wenig in die Welsche Schweiz eingedrungen (Freiburger und Waadtländer Alpen) und ist somit vor allem eine Kunst der deutschsprachigen Gebiete. Tatsache ist, daß Massenmedien und Schallplattenindustrie fast ausschließlich den polierten Jodel der Jodler-Klubs präsentieren. Diejenigen Leute, die den Jodel in traditioneller Art pflegen, weichen oft einem Werturteil aus und begnügen sich mit der lakonischen Formel: "Es ist nicht das gleiche...". Einige hingegen kritisieren in mehr offener Weise die Jodler-Klubs und ihr Quasi-Monopol als offizielle Vertreter des Jodels im kulturellen Leben der Schweiz.

Der "Juuz" im Muotatal

Die Einheimischen des Muotatales im Kanton Schwyz (Zentralschweiz) hören es nicht gerne, wenn man als Jodel das bezeichnet, was sie selber Juuz oder in der Diminutivform Jüüzli nennen. Es ist hier nötig, daran zu erinnern, daß in den geschriebenen Quellen aus Österreich und der Schweiz das Wort "jodeln" erst am Anfang des 19. Jahrhunderts das ältere Wort "jolen" ersetzt, das oft in Zusammenhang mit "jauchzen" oder "juchzen" gebracht wurde. Im Muotatal bedeutet dieses letztere Wort - in der Dialektform juuzä - zur gleichen Zeit das Ausstoßen von Juchschreien und die Singart, die man heute allgemein als Jodel bezeichnet. Früher war der Juuz mit der Tätigkeit des Bauern verbunden. Die Männer juuzten, um die Kühe zum Melken herbei zu locken, während des Melkens im Stall oder draußen auf der Alp, beim Grasmähen, beim Holztransport usw.. Die Frauen juuzten ebenfalls bei der Arbeit auf dem Bauernhof oder in der Küche. Am Abend juuzte man manchmal auf der Bank vor dem Haus, bei Familienzusammenkünften, bei Tanzabenden (Schloffätänz) oder im Wirtshaus. Man konnte auch etwa die Nachtbuebä auf dem Weg zu einem von jungen Mädchen bewohnten Bauernhof hören. Heute, so betont man allgemein, wird viel weniger gejuuzt als früher.
Im Muotatal, wie auch in der übrigen Schweiz, haben die verschiedenen Jodelmelodien keine festbestimmten Titel. Manchmal geben die Ausführenden einem Juuz den Namen eines Ortes, wo sie ihn gehört, gelernt oder oft gesungen haben, oder etwa den Namen einer Person, die ihn in ihrem Repertoire hatte. Aus diesem Grund trifft man häufig denselben Juuz unter verschiedenen Namen an.
Der Stil der Muotataler Jüüzli unterscheidet sich von dem der anderen Gebiete der Schweiz unter anderem durch den "pulsierenden" Rhythmus, die "Zig-zag"-Melodik, und die extreme Spannung der Stimmen mit ihrem nasalen, einen der Oboe ähnlichen Klang. Die große Stimmspannung ist vielleicht das, was beim ersten Hören am meisten auffällt.
Je nach den Umständen juuzt man allein, zu zweit oder vorzugsweise dreistimmig. Im mehrstimmigen Juuz entspricht die erste Stimme dem, was der Sänger juuzt, wenn er allein singt. Die erste Stimme singen heißt vorjuuzä. Das Begleiten der Hauptstimme nennt man abnää (abnehmen) oder sekundierä. Nachdem die erste Stimme einige Töne gesungen hat, fällt die zweite Stimme ein, oft im Einklang mit der ersten. In kurzen Stellen kommt sie im weiteren Verlauf zum Einklang zurück, bleibt aber meistens unter der ersten Stimme, den Ambitus einer Quarte selten übersteigend. An gewissen Stellen gibt es Stimmkreuzungen; wenn die zweite Stimme höher als die erste steigt, so nennt man dies überjuuzä. Die dritte Stimme kommt als letzte und singt meistens nur zwei Töne im Bassbereich, die Tonika und die untere Dominante. Nur die erste Stimme (die von einem Solisten oder einer Solistin gesungen wird), ist durch den Wechsel der Register gekennzeichnet; die Sänger der zweiten und dritten Stimme verbleiben in der Bruststimme.
Gewöhnlich wird der letzte Ton jedes Teiles etwas länger ausgehalten, mit einem mehr oder weniger stark ausgeprägten Abwärtsglissando, gefolgt von einer Atempause. Bei gewissen Jüüzli können die Teile auch ohne Unterbrechung wiederholt werden, vorausgesetzt, die Ausführenden haben genügend Atem, um dies in einem Zug zu tun.

Text (gekürz) entnommen aus dem Begleittext der CD "Jüüzli". Jodel aus dem Muotatal, Schweiz, CDM LE CHANT DU MONDE LDX 27 47 16, herausgegeben von Hugo Zemp (Musikethnologe, Paris).

DOMINI MARTY
geb. 1936, von Beruf Landwirt und Älpler, bewirtschaftet mit seiner Familie in Schwyz seinen eigenen Hof "Hirschi". Er lernte autodidaktisch Bassgeige und Büchel (kurzes Alphorn) sowie Schwyzerörgeli.
Domini Marty ist ein begabter Interpret des Naturjutz und Mitwirkender verschiedenster Ländlermusikformationen. In Innsbruck wird er von FREDI ROGENMOSER und JOSEF LINDAUER begleitet.

CHRISTINE LAUTERBURG & RES MARGOT

Im Naturjutz ist auch Dreck drin

Die 36jährige Berner Schauspielerin und Jodlerin Christine Lauterburg gilt als eigenwillige Interpretin des Jodlers. Die ehemalige Lehrerin kam sehr spät auf die Schweizer Folklore. 1986 besuchte sie einen Jodlerkurs in der Migros-Klubschule, profitierte von den Ratschlägen der Jodlerin Sonja Aebi und - trotz (oder zum Glück) beachtlicher Erfolge am kantonalen Jodlerfest in Langenthal - ist sie nicht im Schloß traditioneller Chörli gelandet. Mit ihren unkonventionellen Statements tun sich vor allem die Funktionäre des Eidgenössischen Jodelverbandes schwer.

Ein wirklicher Naturjutz hat auch Dreck drin.

Interview aus der Fabrik-Zeitung (Kulturzentrum Rote Fabrik, Zürich) Nr. 83, Juni 1992.
Das Gespräch mit Christine Lauterburg führte Martin Frutinger.

Die Leute Deiner Szene haben mit dem Jodeln große Mühe.
Das verstehe ich nicht. Der Jodel hat mit unserem Land doch so viel zu tun. Aber die meisten identifizieren sich lieber mit Flamenco. Weil wir so auf das Fremde fixiert sind, nehmen wir eine devote Haltung in der Musik ein, hören nur noch Platten, können kaum mehr singen.

Der Flamenco hat eben mehr Feuer.
Ich sage nicht, Jodel ist schöner. Alle Musik gefällt mir. Ich kann daraus etwas erfahren. Aber es reizt mich nicht, Lieder zu singen, die gar nicht aus unserer Mentalität gewachsen sind. Als ich im Sudan an einem Festival sang, war das Publikum völlig erstaunt über die großen Sprünge. Im Gegensatz dazu ist die sudanische Volksmusik viel monotoner, dafür sehr rhythmisch. Unsere Berg- und Talwelt hat viel mit dem Jodeln zu tun.

Vielen sind Jodellieder eben zu bejahend. Sie stören sich an der demütigen Haltung, die oft in den Texten ausgedrückt werden. Ein wirklicher Naturjutz hat auch Dreck drin. In den Vokalen höre ich wahnsinnig viel Anklage. Wer hinstellt und einen Jutz losläßt, ist nicht nur froh, er verschafft sich auch Luft. Ich orientiere mich nicht am kommerziellen Brauchtum. Gerade im Fernsehen muß immer à tout alles fröhlich sein. Von der Schweiz wird ein Idyll gemalen. Schon als Kind habe ich immer abgeschaltet. Das ist nur noch Postkarte und hat nichts mehr zu tun mit etwas Gelebtem. Manche Jodlerinnen und Jodler geben einfach einen Jodel wieder, es wirkt fast mechanisch. Für mich wird das schnell langweilig. Ich bin ein Mensch und erlebe Leid und Freud. In der Musik möchte ich von beidem etwas hören.

Der Jodlerverband wirft Dir vor, daß die Vokalisation Deiner Jodler nicht hauptsächlich auf "o" und "u" liegt, wie er in seinen Kursen lehrt.
Was Reglemente doch alles verhindern. Es gibt noch viele Farben zwischen "o" und "u". Jodeln tut so gut. Herauslassen und hören, was es denn ist. Ja, wir mit unseren geschlossenen Mäulern, ehrfürchtig den Idealmusikern zuhörend.

Du trittst auch mit Housi Wittlin, einem Berner Szene-Musiker, auf. Was hat das mit unserer Volksmusik zu tun?
Er interessiert sich für die Volksmusik. Er hat mich jodeln gehört und gebeten, ihm auf seiner LP bei einem Stück zu helfen. So haben wir uns kennengelernt.

Live spielt er eine schmierige Rock-Gitarre - zu Deiner wundervollen Jodelstimme. Wittlin hält überhaupt nichts von Perfektion. Ist das nicht schade?Das Dreckige seiner Gitarre gefällt mir. Eine perfekte Begleitgruppe wäre zu viel des Guten. Mich interessiert der Widerspruch, mit etwas anderem als mir zu kommunizieren. Seine Mundarttexte lassen viel Raum. Auch bei Auftritten kann er diese Stimmung verbreiten; er macht nicht große Kunst, sondern beginnt gleich, mit den Leuten zu reden. Die Leute können ihn auch überdenken, sie werden nicht verarscht. Housi macht sich auch nie auf Kosten einer Gruppe lustig.

Dafür lachen die Leute, wenn Du Jodellieder singst, die nicht von Dir stammen. Singst Du sie zum Spott?
Nein, sie gefallen mir. Die Leute lachen, weil ich es ernst meine; sie sind überrascht, daß ich auch das singe. Das Lachen gibt in sich selber ein Lücke; ein neuer Eindruck kommt hinein. Auch so geht etwas in einem auf.

Die lachen doch, weil Du im Mini-Jupe singst "Im Summer gang i go hüete, und ufs Bergli det äne id Flüe".
Ja, das ist komisch, damit spielen wir auch. Die Leute stellen sich mich dann in diesem Kleid beim Melken vor, was grotesk ist. Ich gebe mich auf der Bühne gerne naiv.

Kaum hat Du vor fünf Jahren zu jodeln begonnen, erschien schon die erste Platte.
Schon nach einem Jahr kamen die ersten Angebote. Ich habe sie alle abgelehnt, weil ich sehr viel Respekt davor habe, etwas auf Konserve festzuhalten, das nicht "verhebbt". Die Platte, die du meinst, erschien zum Film "Macao". Ich habe ein zwiespältiges Verhältnis zu ihr.

Weihnachten 91 erschien nun im Zytglogge-Verlag eine eigene LP von Dir, die "Schynige Platte".
Zusammen mit Res Margot. Wir haben über ein Jahr daran gearbeitet. Viele Titel darauf werden mit Naturtönen gespielt. Da neben Alphorn und Büchel sehr wenige Instrumente für die Naturtonmusik vorhanden sind, hat Res einige umgebaut, auch einen Synthesizer entwickelt.

Es tönt teilweise so, als wolltet ihr den Gipfel mit dem Allrad-Jeep erklimmen.
Mit Res gehe ich immer mehr weg von der wohltemperierten Stimmung. Für unsere Ohren tönt die Naturtonreihe schräg. Es handelt sich aber um eine harmonisch reine Stimmung, der gleichen Skala wie bei den Obertonsängern. Besonders in der Natur kann ich in ihr sehr gut improvisieren.

Portable-TV, Auto-Radio und Motorsäge sind aber unüberhörbar.
Es ist Volksmusik mit modernen Mitteln. Volksmusik ist nicht nur Tradition, muß nicht nur alt sein, sonst erstarrt sie. Wir haben daher auch viele eigene Stücke drauf. Wir tragen die Volksmusik vom Museum auf die Straße, damit sie wieder unter die Leute kommt.

"Wer jodelt sich da neben den Wohlklang? Wer klebt die Stimme atemberaubend sicher einen Halbton neben jedes harmonische Wohlempfinden?" so der Journalist Christian Seiler zu erwähnten LP - "Schynige Platte" von Christine Lauterburg und Res Margot, die neu arrangierte, traditionelle und neue Jodellieder enthält und zu den interessantesten wie umstrittensten Volksmusik-Dokumenten in der Schweiz zählt. Für viele am radikalsten muten vielleicht jene Passagen an, in welchen das Duo auf älteste überlieferte Tonfolgen zurückgreift und diese mit ausführlichen Improvisationsteilen und Synthesizer-Naturtonharmonien verschmelzt.
Res Margot, Musiker und Informatiker, der die alten Wurzeln mit modernster Technik erforscht, gilt als Experte für die Naturtonreihe und hat aufgrund der Tatsache, daß neben Alphorn und Büchel kaum Instrumente für die Naturtonmusik vorhanden sind, für das Komponieren und die Gesangsbegleitung von Christine Lauterburg Instrumente gebaut, umgebaut und spielen gelernt (zB. Glockenspiel, Synthesizer, Kalimba). Christian Seiler: "Die Beiden haben sich, eine durchaus moderne, hochtechnologische Ausrüstung auf dem Buckel, auf den Weg gemacht, den Berg zu ersteigen, von dessen Gipfel sie ins Land schauen können, um, wenn die Sonne im Westen untergeht, endlich einen Jodel anzustimmen, den auch wir hören können."