Romed Mungenast

Wer sind Jenische?

Viele wissen nicht, dass es eine Gruppe von Menschen gibt, die sich "Jenische" nennen - und die meisten Jenischen selbst schweigen darüber. Aufklärung und Verständigung können am besten wir Jenischen selbst in Verbindung mit seriöser Wissenschaft schaffen. Bis jetzt gibt es kaum Dokumentationen über Kultur und Sprache der Jenischen in Tirol.

In kleinen Familienverbänden zogen die Jenischen früher übers Land. Menschen mit eigener Sprache, eigener Kultur. Lebten vom Wanderhandel, von Schaustellerei, vollbrachten Dienstleistungen, indem sie für die meist bäuerliche Bevölkerung zum Beispiel Körbe flochten, Besen und Bürsten banden oder als Erntehelfer Gelegenheitsarbeiten verrichteten. Geblieben sind die Jenischen bis heute eine soziokulturelle Minderheit, deren Lebens- und Existenzrecht in Österreich sowie fast im gesamten übrigen Europa mit erzwungenen Integrations- und Assimilierungsgesetzen fast liquidiert wurde. Tausende Jenische – wollten sie nicht zum Subproletariat am Rande der Gesellschaft werden – waren gezwungen, sesshaft zu werden.

Die paar Tausend, die in Europa noch die jenische Tradition leben, unterscheiden sich von den Sesshaften nicht nur dadurch, dass ihre Wohnung Räder hat; Kinder und alte Menschen haben hier einen ungleich größeren Stellenwert als in der übrigen Gesellschaft. Einem Nomaden kommt es nie in den Sinn, seine Eltern ins Altersheim zu stecken oder Kinder ihrer natürlichen Bewegungsfreiheit zu berauben. Diese Menschen lassen sich die Zeit für einander nicht nehmen.

Mit Ausnahme der Schweiz und Frankreichs sind die Jenischen fast alle assimiliert und ihre Kultur fast ausgerottet. Aber es gibt sie noch, die Jenischen, die Nomaden der Landstraße. Und es gibt die Betonjenischen – die in Sesshaft Genommenen –, von denen einige ihrem subjektiven Empfinden nach Jenische geblieben sind.

Geschichte der Jenischen

Fragt jemand hundert Wissenschafter nach der Herkunft der Jenischen, hat jeder seine eigene Theorie. Fragt man hundert Jenische nach ihrer geschichtlichen Abstammung, ist es dasselbe: Alle haben ihre eigene Theorie. Die noch traditionell lebenden Jenischen halten die Frage nach ihrer Herkunft für präpotent. Es genügt, dass sie sind, dass es sie gibt und dass sie sich als Volk fühlen!

Der Begriff "jenisch" ist in Österreich seit 1714 (in einem Wiener Dokument) nachweisbar. Die entsprechenden Quellen dazu findet man im "Rotwelschen Quellenbuch" von Friedrich Kluge, Ausgabe Strassburg 1901. "Jenisch" wird abgeleitet aus dem indischen Sanskrit vom Weisheitsgott "Janosch", was "wissend", "eingeweiht" oder "schlau" bedeutet.

Die eigene Sprache, eine Geheim- und Berufssprache, war Teil der Identität der Jenischen und auf Reisen zugleich Schutz vor der ihnen meist feindlich gesonnen Umwelt. In Österreich konnten die Jenischen früher ein Wandergewerbe ausüben – sie erhielten bei den Behörden zu diesem Zweck ein Hausierbuch. Darauf zahlten sie eine pauschale Steuer und durften damit Handel treiben. 1930 wurde in Tirol das letzte Hausierbuch – die "Schrenzerflebbe" wie es bei den Jenischen hieß – ausgestellt.

"Angeborene Asozialität" sei es, die diese Menschen an der Sesshaftigkeit "hindere", meinen diverse Wissenschafter und selbsternannte Jenischenforscher. Die "wissenschaftlichen Arbeiten" stammen aus dem 19. Jahrhundert, hauptsächlich aber aus den 40er und 50er Jahren des 20. Jahrhunderts und sind in diskriminierender und rassistischer Manier verfasst. Ein Gegengewicht existiert kaum. Zuschreibungen wie "Zigeuner" oder "Karrner" als Metapher für Sündenböcke war in nicht-jenischer Kultur allgegenwärtig.

Es gibt eine ganze Reihe von Synonymen für Jenische, die deren sozialen Status aus der Sicht der besitzenden Gesellschaft darstellten: "Vaganten", "Bettler", "Gauner", "Gesindel", "Karrner" oder "Asoziale" wurden die Jensichen genannt. Man hat uns also durchaus wahrgenommen. Zumindest als Hausierer, Schleifer, Schausteller oder Sündenböcke, wenn grad welche gebraucht wurden.

Die Geschichte der Jenischen ist über Generationen eine Geschichte oft nicht freiwilliger, sondern erzwungener Armut, eine Geschichte der Ausgrenzung, eine Geschichte von gepfändeten Kindern und immer wieder Vertreibung. Und heute?

Jenische heute

Nur mehr wenige üben heute ihre traditionellen Berufe aus und leben nomadisch. Ihren Lebensraum hat man ihnen in den meisten Ländern Europas weitgehend entzogen. Kampieren in Auen, aufgelassenen Kiesgruben oder an Waldrändern ist bei uns überall verboten und endet mit behördlicher Vertreibung. Für die Hunde stehen Parkanlagen, Straßenränder und sogar Kinderspielplätze zum "Derscheißen" zur Verfügung, bloß ein Jenischer / eine Jenische oder ein Rrom / eine Rromni hat keinen Platz in dieser Gesellschaft. Es ist beschissen! Die Menschenrechte wären nach meiner Erfahrung bei den Tierschützern besser aufgehoben.

Die Jenischen waren immer schon der Andersartigkeit verdächtig, und das hat in unserem Land auch immer einen inquisitorischen Hintergrund: Die sogenannten wissenschaftlichen Arbeiten und die Verfolgung im Dritten Reich als "Asoziale". Heute geht das Gespenst des Führers wieder um in Europa. Und deshalb die Angst der Jenischen und ihr Schweigen. Andersartigkeit kann sehr schnell wieder tödlich sein.

Zum Nachlesen:

Romedius Mungenast (Hg.): "Jenische Reminiszenzen. Geschichte(n), Gedichte. ein Lesebuch"; EYE - Verlag für die Literatur der Wenigerheiten; Imst 2001.
Heidi Schleich: "Das Jenische in Tirol. Sprache und Geschichte der Karrner, Laninger, Dörcher"; EYE - Verlag für die Literatur der Wenigerheiten; Imst 2001.
"Zwanzger. Die Tiroler Straßenzeitung": "Jenisch tibern"; Nr. 7 - 28.