KRISE
KRISE
KRISE 2: Update Weltwirtschaftskrise
KRISE 3: Eingreifmöglichkeiten
KRISE 4: Was uns bevorsteht
KRISE 5: “Detroit Text”
KRISE
JedeR redet von ihr, überall liest man von ihr! Alle Jahre wieder? Fast. Zumindest alle fünf bis zehn Jahre bekommen wir härter als normal zu spüren, dass »Kapitalismus« etwas ist, das nur gegen die Menschen (fort-)bestehen kann. Wenn Häuser leer stehen, Menschen keine Wohnung haben und sie nicht beziehen dürfen, weil sich KapitalistInnen nicht daran bereichern können, dann stehen die Bedürfnisse des Kapitals gegen die der arbeitenden Menschen. »Swarovski entlässt 740 MitarbeiterInnen«, »Opel macht für drei Wochen dicht«, »Magna kündigt 900«, »Autoversicherungen werden teurer«, von Lebensmittelteuerungen gar nicht zu sprechen … die Liste ließe sich ewig fortsetzen! Die Frage ist nicht, ob und wann die »Finanzkrise« die »Realwirtschaft« trifft. Erstens ist die »Finanzkrise« Ausdruck einer vorangegangenen Krise in der »Realwirtschaft« und zweitens ist sie schon viel länger spürbar, als die ÖkonomInnen und PolitikerInnen uns aufbinden.
Historisches
Der Druck des weltweiten Aufbegehrens 1968ff. hat dazu geführt, dass die UnternehmerInnen mit fallenden Profitraten zu kämpfen hatten. Das Kapital hat vor dem größeren Stück Kuchen, das sich ArbeiterInnen und StudentInnen erkämpft haben, kalte Füße bekommen. So banal es erstmal klingt: Neben der zunehmenden Mechanisierung des Produktionsprozesses und dem vermehrten Einsatz von Maschinerie (»Roboterisierung!«) war auch die verstärkte »Flucht« des Kapitals in die Finanzsphäre Ausdruck der Revolte. Aber in dieser Sphäre wird Kapitalvermehrung nur simuliert – stark vereinfacht heißt das: Ich wette, dass ich übermorgen so und so viel Profit erwirtschafte, wenn ich morgen so und so viel investiere und damit so und so viel produziere. Da nimmt der Spekulationseifer natürlich seinen Lauf und es kommen Summen heraus, mit denen keine »Realwirtschaft« mithalten kann. Alles fiktiv, aber eben doch real: Arbeitsplatzabbau, Vernichtung von schon produzierten Gütern, Geldentwertung, Hunger! Dazu kommt, dass alle Krisen bis heute – Börsencrash 1987 in Japan, 1995 Tequilakrise in Mexiko, 1997 Asienkrise, 1998 Russlandkrise, 2000 New-Economy-Crash – mit Kreditausweitung »gelöst« wurden. Begleitet wurden die Erschütterungen durch die Entwicklung neuer Finanzinstrumente wie Hedgefonds und Mortgage Backed Securities. Die damit verbundenen Risiken wurden immer weiter gestreut, endlos verbrieft und komplexer gebündelt – so lange, bis sich niemand mehr auskannte. Und jetzt fliegt uns das Ding endgültig um die Ohren!
Offensichtliches
Und was machen Linke? »Der Papa wird’s schon richten, er hot jo seine Pflichten!« brüllen sie lauthals und rennen zu Vater Staat (MALMOE fordern »Entwicklungshilfe«, »Sozialwohnungen« und »Einkommensunterstützung«, ATTAC forcieren ihre Regulierungs- und Besteuerungsideen, deutsche (radikale!) Linke entdecken Keynes wieder, usw.). Das wäre nicht weiter schlimm, aber: viele hören ihnen zu! Dabei ist doch viel wichtiger, was die Menschen selber dagegen machen – Streiks in Belgien von EisenbahnerInnen und Bankangestellten gegen die Krise! Food riots in Indien, Ägypten, Haiti und Kamerun gegen die Krise! LKW-FahrerInnen blockieren die spanischen Autobahnen – gegen die hohen Ölpreise! Athen wird durch einen Streik lahmgelegt – gegen die korrupten Pensions- und Rentenkassen! Und was machen die IsländerInnen und KalifornierInnen, deren Regierungen vorm völligen Bankrott stehen? Das sollten wir uns ansehen, solche Informationen müssen die Runde machen, das gehört verbreitet! Wird den Menschen in der Krise klar, dass etwas Grundlegendes nicht in Ordnung ist und dass das geändert werden kann?? Es ist enorm wichtig, endlich zu kapieren, dass alle, die kein Vermögen haben – außer ihrer Arbeitskraft nur Geld, das sofort wieder ausgegeben wird – total verarscht werden. Die Widersprüche sind offensichtlich.
Jahrelang wurde der »Gürtel« enger geschnallt – die Krise trifft ArbeiterInnen und Angestellte trotzdem mit voller Wucht: Angst um die Ersparnisse, Angst um den Job, wie geht’s weiter?
UnternehmerInnen und PolitikerInnen schnüren »Rettungspakete« und füttern Banken über Nacht (!) mit unglaublichen Milliardenbeträgen, die sie sonst nie haben – die 2006 von den G8 versprochenen zwei Milliarden für die »Dritte Welt« sind noch immer nicht überwiesen! Alles, damit »das Geschäft« weiter geht – was eigentlich nur heißt: damit »das Vertrauen« wieder hergestellt ist. Nur darauf baut die Scheiße auf! »Vertrauen« in jene, die den ganzen Schlamassel verursacht haben, »Vertrauen« in ein System, das für den ganzen Schlamassel verantwortlich ist.
Die »zu vielen Güter«, um die es geht (Häuser, Autos, …), wurden ja schon produziert, sie existieren, man könnte sie benutzen, aber fürs Kapital ist das nicht »profitabel«! Die durch die Mechanisierung und Arbeitsintensivierung ständig steigende Produktivität wurde weder durch Arbeitszeitverkürzung ausgeglichen, noch konnten die Lohnsteigerungen mit der Produktivitätssteigerung mithalten. Dadurch ergibt sich für das Kapital ein Absatzproblem – niemand kann sich die schon produzierten Waren leisten. (Teilweise wurde der Konsum durch billige und leicht erhältliche Privatkredite angekurbelt – ein System, das nun in der US-Immobilien Krise zusammengebrochen ist.) Die gesellschaftliche Produktivität ist zu hoch, um sie lukrativ verwerten zu können. Die KapitalistInnen fürchten um ihre Bereicherung und vernichten deshalb lieber die angehäufte Warensammlung als dass es zu einem Preisverfall kommt! Anders gesagt: Das Kapital nimmt den Menschen alles wieder weg, was sie selber produzieren, gibt ihnen die Dinge nur, wenn es sich Profite davon erhofft. Häuser, Autos, etc. werden im Kapitalismus nicht für die Bedürfnisbefriedigung produziert, sondern für die Realisierung von Profiten – funktioniert das nicht mehr (»Schuldenkrise!«), dann wird die Produktion gestoppt, Fabriken geschlossen, ArbeiterInnen entlassen. Der »Überschuss« kommt auf die Müllhalde!
Wenn wir zu viel produzieren, dann heißt das, dass wir zu viel arbeiten. Was wäre also, wenn wir mit dieser Produktivität bewusster und gemeinsamer umgingen? Weniger Angst, weniger Arbeit, weniger Müll, weniger Umweltverschmutzung und weniger Krankheiten?
Was tun?
Momentan wissen wir gar nicht, wo uns der Kopf bei all diesen Widersprüchen und Entwicklungen steht – da haben´s VertreterInnen der (oft versteckten) Marxorthodoxie à la »Klassenkampf – Krise – Kommunismus« und Linke, die an den Verhandlungstisch wollen, schon leichter! Aber was fangen wir damit an (linksradikale AktivistInnen, …)? Was fangen die Menschen damit an, die die Krise trifft? Bleiben die Kämpfe, die wir oben aufgezählt haben, isoliert – kämpft jedeR nur für sich? Gibt es in diesen Auseinandersetzungen irgendwo den Lichtblick auf eine neue Gesellschaft, entsteht irgendwo die Perspektive der bewussten, gemeinsamen Zerstörung des Kapitalismus? Auch wenn wir erst jetzt zum ersten Mal von einer »globalen Arbeitskraft« reden können, die von der ersten wirklich »globalen Krise« getroffen wird – sie kämpft (noch?) nicht »global«! Wo ist die revolutionäre Neuzusammensetzung der Klasse, bei der sich die chinesischen RüstungsarbeiterInnen weigern, Waffen für die Abschlachtung simbabwescher LandarbeiterInnen zu produzieren? Wo die US-AutoarbeiterInnen, die gleichzeitig mit ihren deutschen KollegInnen von Opel, BMW, Daimler, … auf die Straße gehen und zeigen, dass sie es satt haben, in ihren heruntergekommenen, finanziell ruinierten Betrieben weiterzuarbeiten und trotz Arbeit dauernd nur verschuldet zu sein? Hätten die Food riots mehr Potenzial, als nur für die unmittelbarsten Bedürfnisse zu sorgen? Haben sich EisenbahnerInnen und Bankangestellte was zu sagen?
Wenn ProletarierInnen um ihr Geld und ihre Jobs bangen, von vernichteten Anlagewerten und entlassenen KollegInnen hören, hängt der weitere Verlauf der Krise und damit des Kapitalismus davon ab, ob sie sich als nächste Opfer einer ungerechten Welt ausgesetzt fühlen, oder sich als AkteurInnen wahrnehmen die miteinander reden und handeln können und zusammen etwas erreichen wollen. Darauf kommt es an: Angst, Vereinzelung, Resignation oder Kommunikation, Austausch und Mut zur Aktion.
Vieles rund um die Krise steht im Artikel in der Wildcat 82: »Globale Krise«. Schreibt uns, wenn ihr eine wollt und diskutiert mit: grauzone@catbull.com. Überdies lohnt sich immer ein Blick in die Tagesmeldungen von Financial Times Deutschland (www.ftd.de) – nicht wegen der politischen Vorschläge, sondern wegen der oft sehr pointierten Analysen aus herrschender Sicht. Zum einführenden Verständnis von Kredit, Finanzmarkt und Wertpapieren hilft Wikipedia und für diejenigen, die´s genauer wissen wollen und viel Zeit haben taugt noch immer der gute alte Charlie M. am besten (zB.: »Die Handelskrise in England« oder »Die Finanzkrise in Europa«, in: MEW 12 bzw. auf mlwerke.de).
KRISE 2 Update: Weltwirtschaftskrise
Wenn wir nun ein paar Zeilen zur politischen Methode und zu lokalen Erscheinungsformen und Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise schreiben, dann hat das einen spezifischen Sinn – wir wollen Rückmeldungen, Erfahrungsberichte, Kritik und Meinungen! Wir wollen mit den Texten politisch arbeiten und intervenieren. Dafür braucht es Feedback! Wie sieht´s in eurer Umgebung aus? Was machen die Leute, die entlassen werden und ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können? Was tut sich in den Betrieben?
Die Methode
Im letzten Info behaupteten wir, dass der weitere Verlauf der Krise und damit des Kapitalismus von den Aktionen der ArbeiterInnen rund um den Globus abhängt. Wir sagen das einerseits aus historischen Gründen, denn der Klassenkampf war bis jetzt immer der Motor des Kapitalismus – das lässt sich ganz einfach beweisen. Und andererseits aufgrund des Gedankens, dass wir überlegen sollten, mit wem wir die Welt verändern könnten. Unter dem Label »Linksradikale« oder »AnarchistInnen« wird das nicht gehen. Diese Identitäten brauchen eine Erdung! Deshalb sagen wir: Mit denen, die den Kapitalismus mit ihrer Arbeit täglich neu produzieren. Und das sind die ArbeiterInnen rund um den Globus. Viele werden jetzt wieder irgendein Bild vom stolzen, mächtigen Fabriksarbeiter im Kopf haben – aber damit hat das absolut nichts zu tun (bekommt endlich die maoistischen und leninistischen Vorstellungen vom Klassenkampf aus euren Köpfen! Es gab und gibt auch soetwas wie »autonomen, undogmatischen Marxismus« oder »autonomen Klassenkampf«!). Die ArbeiterInnen sind viel verstreuter, komplexer zusammengesetzt, in verschiedenen Verhältnissen miteinander verbunden und nicht einfach in einen Topf zu werfen. Was hat »Hausfrauenarbeit« mit »Fabriksarbeit« zu tun? Wie leben und kämpfen Studis, die zwischen Uni, extrem prekären Jobs und unbezahlten Praktika hin- und herpendeln? Und was hat das mit den »Bauern« in Mexiko, China, Indien, … zu tun? Das sind alles offene Baustellen!
Um an diesen Baustellen zu arbeiten, gibt es sowas wie »Klassenanalyse« oder »militante Untersuchung« der Arbeits- und Produktionsverhältnisse und der Verhaltensweisen der ProduzentInnen, bei denen man im Vorhinein einfach nicht wissen kann, was dabei rauskommt. Die »ArbeiterInnenklasse« ist kein Objekt, das man dirigieren oder dem man ein »richtiges Bewusstsein« einbläuen könnte (und das stand auch schon oft in unserem Info!). Stattdessen sollten wir uns bei der Nase nehmen und fragen: In welchem Verhältnis stehen wir zur »Klasse«? Was könnte das überhaupt sein, diese »Klasse«? Was wissen wir über uns selber und was haben wir über »soziale Alternativen« zu sagen? Und vor allem: Wem wollen wir das sagen?
Krise in Tirol
Spätestens seit November 2008 ist die Krise real in den Betrieben angekommen – eben so, dass die ArbeiterInnen sie spüren. Ein paar Farbtupfer sollen vorerst einen Rahmen schaffen, in dem wir diskutieren könnten – mehr als ein Anfang ist das nicht!
• Als Beispiel allen voran ist das »Tiroler Aushängeschild« für einen Industriebetrieb (von denen es immerhin knapp 400 in Tirol gibt): Swarowski. Die Chefetage schwatzt vor Monaten von »MitarbeiterInnenabbau, damit der Standort Tirol gesichert bleibt« – und entlässt auf Anhieb 740 Leute, besetzt 200 Stellen nicht mehr nach. Mittlerweile sind die Pläne bekannt: Ein Teil der Produktion wird nach Tschechien verlagert, weitere 150 ArbeiterInnen fliegen raus. Hinter vorgehaltener Hand munkelt man übrigens schon wieder von weiteren 600 Kündigungen wegen der Wirtschaftskrise (der linke Gewerkschafter Stingl hat übrigens Recht, wenn er dabei von einer »Salamitaktik« spricht). Das alles trotz Rekordumsatz 2007. Das Argument: Jenen Rekord hat man 2008 nicht erreicht. Von 2,56 Mrd. fiel er auf 2,52 Mrd. Euro – wahrlich, eine Tragödie! Sonnenklar, dass da (vorerst!) 20 Prozent der Belegschaft gehen müssen. Die kommen dann in eine »Landesarbeitsstiftung«, was bedeutet: Es gibt zwar nicht genug Arbeit, um die Leute bei der Stange zu halten, aber die KapitalistInnen und PolitikerInnen verordnen dennoch einen Arbeitszwang – verpackt als »Aus- und Fortbildungsmaßnahmen«.
• Dass wir uns verstehen: Wir plädieren hier nicht für irgendeine reformerische Politik à la »sichere Beschäftigungsverhältnisse« (wir sind AntikapitalistInnen, keine GewerkschafterInnen!), sondern wir veranschaulichen die absurde Logik, die die KapitalistInnen uns aufzwingen wollen.
• Ebenso bei Tyrolit, den Autozulieferern Thöni, Friedrich Deutsch, SchmitterGroup, den Haller Röhrenwerken, den Holzunternehmen Pfeifer, Binder, der Egger GmbH, usw.: Zuerst »Rekordumsatz«, dann »Sparmaßnahmen«. Das heißt: Erstmal fliegen die LeiharbeiterInnen raus und die Kernbelegschaft wird mit Kurzarbeit und Zwangsurlaub eingedeckt. Danach Abbau der StammarbeiterInnen und Investitionen in Rationalisierung und Modernisierung, was immer auch heißt: Steigerung und Optimierung der Ausbeutung unserer Arbeit! Am besten noch mit unseren Steuergeldern (»Staatshilfe«) – wobei ja gar noch nicht ausgemacht ist, ob diese Krise damit in einen neuen kapitalistischen Zyklus mündet. Wir sollten da mitreden!
• Um den Daumen herum haben wir es mit 21.000 Arbeitslosen in Tirol zu tun – das sind um 28,3 Prozent mehr als im Vorjahr, Tendenz täglich steigend! Und die meisten Betriebe sind in Kurzarbeit, was bedeutet: Weniger Lohn, im Schnitt 10 bis 15 Prozent. Und die Lohnzettel vom Monatsende fliegen uns erst in die Hände. Die Auswirkungen bekommen wir also erst zu spüren! Übrigens: Wenn die KapitalistInnen von der »zu teuren« Kurzarbeit reden, dann braucht uns das nicht zu stören – erstens ist ihnen immer jeder Cent an Lohn »zu teuer« und zweitens: sollen sie doch endlich zu Grunde gehen!
Krise weltweit
Das alles ist nichts »Tirolspezifisches«. Diese Dinge passieren gerade überall auf der Welt. Wir könnten unzählige Beispiele, Analysen, Berichte, usw. anführen, aber mittlerweile ist allen klar, dass wir es mit einer fundamentalen Krise des Kapitalismus zu tun haben und dass die Karten gerade neu gemischt werden. Es ist nicht schwer zu begreifen, dass all das, was jetzt über uns hereinbricht, keine »Naturgewalt« oder »wirtschaftlicher Zwang« ist, sondern das Ergebnis von gezielten politisch-ökonomischen Entscheidungen. Die KapitalistInnen drücken die Löhne mit Absicht, die PolitikerInnen sichern die Profite der Banken und Unternehmen mit unseren Steuergeldern (mit Absicht!) und tun alles, damit sie an der Macht bleiben – es ist der pure Klassenhass, der uns da von oben entgegen schlägt! In China, England, in den USA, … reden die Regierungen ganz offen vor ihrer Angst vor sozialen Unruhen (und bereiten sich mit ihren Armeen darauf vor!), in Griechenland können sich StudentInnen und ArbeiterInnen eine andere Gesellschaft schon vorstellen und in Island dauert es bestimmt nicht mehr lange, bis die Reykjavíker Kommune ausgerufen wird …
Noch Nix in Sicht!
Klar, letzteres ist erstmal Träumerei. Denn sowas wie ein weltweites, bewusstes, organisiertes Revoltieren gegen die hilflosen Konjunkturpakete, gegen die politischen Vorschläge und Pläne von UnternehmerInnen und Polit-Bonzen, gegen Barack Obama oder gegen all die offensichtlichen Widersprüche des Kapitals (siehe voriges Info!) tut sich bis jetzt wenig Verallgemeinerndes. Viele kämpfen oder versuchen es – aber meist nur für sich und in vielen Fällen als Appell an den Staat, der doch bitte bitte das marode System retten wolle (siehe Opel-ArbeiterInnen). Was für ein untertäniges Gejammer! Globale Solidarität durch Selbstermächtigung sieht anders aus. Wie werden die Hochöfen zum Flächenbrand?
Hier zwei Tipps zu Texten, die nicht so platt, kurz und vereinfachend die welthistorische Situation beschreiben, in der wir uns momentan befinden. Sie werden gerade weltweit diskutiert:
Karl-Heinz Roth: Globale Krise – Globale Proletarisierung – Gegenperspektiven
Loren Goldner: The Biggest ‚October Surprise‘ Of All: A World Capitalist Crash
Plus: In der aktuellen Wildcat 83 findet ihr viele Länderberichte und einen weiteren Artikel zur Krise. Informiert euch und greift ein!
PS: Was sollen wir das nächste mal schreiben? Über Tiroler KapitalistInnen, die unsere Infrastruktur an US-KapitalistInnen verscherbeln (CBLs)? Über die Frage, was wir ArbeiterInnen/Studis denn tun wollen/sollen/müssen, wenn wir entlassen werden oder wir so wenig Geld bekommen, dass wir unsere Schulden, Mieten, Versicherungen, … nicht mehr bezahlen können? Was die 50 Millionen Arbeitslosen in China mit uns zu tun haben? Oder sollen wir unserer Fantasie freien Lauf lassen und uns über die sozialistische Transformation wie Karl-Heinz Roth in seinem neuen Paper unterhalten? Wir wissen´s nicht, aber wir tun es dann einfach – denn nichts ist schlimmer, als »nichts tun« oder »abwarten und Tee trinken«!
KRISE 3: Eingreifmöglichkeiten
Im letzten Info fragten wir im ps zum Krisentext, was wir als nächstes schreiben sollten. Der rote Faden hängt an der zentralen Frage: Was tun? »Informiert euch und greift ein!« war unsere Parole. Zusätzlich wollten wir auf einer dann doch nicht organisierten Krisendemo sagen: »[..] rufen wir alle [..] auf, sich mit ihrer miesen Situation zu befassen! Niemand braucht sich einreden, dass es ihm/ihr ›eh noch gut‹ geht! Hört nicht auf Parteien, Gewerkschaften, ›ExpertInnen‹, Tageszeitungen, usw. Die verbreiten viel Scheisse! Seid solidarisch, interessiert euch füreinander und fangt endlich selbständig an, über eine neue Gesellschaft nachzudenken! Nur wer begreift, was wirklich um uns herum passiert und sich kollektiv und autonom organisiert (im Betrieb, auf der Uni, in der Schule, im Stadtteil, …), hat auch die Macht, etwas zu verändern!« (Den ganzen Text zur Demo findet ihr hier!)
Informiert euch …
Deshalb sollten wir uns ein paar Zahlen vor Augen führen, die die Dramatik der Krise in Österreich aufblitzen lassen – damit wir die Situation in einen Rahmen einbetten und besser verstehen können, was um und mit uns passiert. Wir als AktivistInnen, die immer schon zwischen scheiss Jobs, Arbeitslosigkeit und prekärem Studium herumlungern und die Krise bis jetzt nur wenig bis gar nicht spüren (außer an den vielen linken Theorieveranstaltungen zur Krise), haben damit eine Grundlage mit der wir eingreifen können und mit der wir uns bewusst machen, dass weder wir als AktivistInnen noch als ArbeiterInnen alleine mit unserer Situation dastehen.
Anfang Juni befinden sich österreichweit 58.000 ArbeiterInnen in mehr als 300 Unternehmen in Kurzarbeit. Dem AMS kostet das laut Vorstand Johannes Kopf 300 Millionen Euro. 250.000 Menschen sind arbeitslos, bis Ende 2010 rechnet der Ökonom und IHS-Chef Bernhard Felderer mit 350.000. Das voraussichtliche Haushaltsdefizit Österreichs steigt nach einer Prognose auf orf.at von 3,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) 2009 auf 4,7 im Jahre 2010. Danach wird der Schuldenberg bis 2013 von zuletzt 62,5 Prozent auf 78,5 Prozent der Wirtschaftsleistung wachsen – das sind 247,3 Mrd. Euro. Der Bund muss damit allein für die Zinsen 11,3 Mrd. Euro budgetieren (2008: 7,5 Mrd.). Der Betrag entspricht rund der Hälfte der Einnahmen aus Lohn- und Umsatzsteuer, die heuer rund 20 und im kommenden Jahr ca. 22 Mrd. Euro ausmachen werden. Das Außenhandelsbilanzdefizit steigt im ersten Quartal 2009 auf 1,15 Mrd. Euro. Zum Vergleich: Im Vorjahresquartal gab es einen Überschuss von 212 Mio. Euro. Die Exporte gingen um 23,2 Prozent zurück, die Importe um 18,8 Prozent. Die Ausfuhren in die EU sanken gegenüber dem Vorjahr um 25,2 Prozent. Der Außenhandel mit Drittstaaten fiel um 17,8 Prozent. »Ziemlich beängstigend«, wie Felderer meint.
Wie sollen die Verluste kompensiert werden? Wer soll das bezahlen? Die Diskussion um den Staatsbankrott verschleiert, dass Staaten real immer verschuldet sind und praktisch nur davon leben, weil sie oft die besten Bewertungen für Kredite bekommen – und somit die Kohle, die sie gerade brauchen, auf Pump beziehen dürfen.
Staaten wie Großbritannien, Spanien, Ungarn, Irland oder Ukraine sind völlig bankrott. Von den Ratingagenturen, die die Kreditwürdigkeit dieser Länder bewerten, werden sie teilweise auf »Ramschniveau« herabgestuft, so dass außer einem Notkredit vom Internationalen Währungsfond keine Optionen mehr bestehen, wie diese Länder ihre »Rettungspakete« für Banken und Unternehmen bezahlen sollen – außer sie tilgen extrem hohe Zinsen, was wieder zur Verschuldung führt (siehe oben!). Die Spirale endet nicht und führt von einer Krise zur nächsten.
Es war von vornherein klar, dass die ganzen Milliarden, die die fiktiven Werte und Gewinne der KapitalistInnen darstellen (die übrigens in realen Gebrauchswerten wie Autos, Wohnungen, Häuser, Schmuck, etc. in die eigene Tasche derselben geflossen sind), nicht vom Himmel fallen, sondern produktiv erarbeitet werden müssen! Nochmal: Die produktive Arbeit als Wertanhäufung kann man nicht durch Spekulation oder Geldgeschäfte umgehen – auch wenn das die letzten 35 Jahre scheinbar funktionierte. Es führt zur – Krise! Ein Kapitalismus ohne so eine Krise ist nicht möglich, weil Kapitalismus immer heißt: Maximale Profitrate herausholen – möglichst es ohne mit der Ware Arbeitskraft zu tun zu haben, deren Trägerin die (Welt-)ArbeiterInnenklasse ist. Das ist der unlösbare Widerspruch: Das Kapital versucht das zu umgehen und auszuschalten, wovon es lebt: die menschliche Arbeit. Warum? Weil nie sicher ist, ob die ArbeiterInnen so diszipliniert schuften, wie die Chefs das gerne hätten. Vor allem nach 1968ff. flüchtete das Kapital vor der Aufmüpfigkeit der ArbeiterInnen in der Produktion in die Finanzsphäre. Gegenwärtig irgendwelche Reformen zu fordern, nützt nichts. Ein bisschen Kosmetik hier und da ändert kein bisschen an diesem Prinzip.
… und greift ein: Swarovski
Um auf dieser Grundlage eingreifen zu können, besuchten wir bis jetzt drei Mal die Fabrikstore des Wattener Kristallkonzerns Swarovski (alle Berichte könnt ihr auf unserer Homepage nachlesen). Dort suchten wir das Gespräch mit betroffenen ArbeiterInnen. Wir verteilten insgesamt 700 Flugblätter. Bei Unterhaltungen kamen einige interessante Dinge heraus: Manche ArbeiterInnen wissen um ihre wütenden und streikenden KollegInnen in Frankreich bescheid, die ihre Bosse als Geisel nehmen, fühlen sich irgendwie »verbunden«, können sie verstehen. Andere haben die Schnauze voll von der Gewerkschaft, von der sie sich nicht vertreten fühlen. Wir erfuhren von Kündigungsmethoden, die in krassem Widerspruch zur öffentlichen Präsentation und Wahrnehmung des Kristallkonzerns stehen: Für die ArbeiterInnen da zu sein, soziale Verantwortung zu übernehmen, etc. Die Belegschaft selber merkt davon nichts. Die ArbeiterInnen erzählen von einer miesen Stimmung in den Werkshallen, haben aber nur wenig Vorstellung von Widerstand. Wenn wir von Betriebsbesetzungen oder betriebsübergreifenden Solidaritätsmärschen erzählen, dann ist die Antwort: »Das geht dort, aber nicht bei uns!« Der Betriebsfrieden hält – aber wie lange noch? Im Moment sollten wir dranbleiben und mehr herausfinden – nicht nur bei Swarovski.
Momentan ist alles offen. Mehr denn je kommt es darauf an, ob sich die arbeitende Bevölkerung weiter abräumen lässt und den Lügen glaubt oder ob die Vorstellung von einer neuen Gesellschaft sich endlich in die Tat umsetzt – nicht als Betteln und Bitten an den Staat, sondern als Kampf gegen die UnternehmerInnen und PolitikerInnen. Dafür gibt’s viele Möglichkeiten: (offene) Betriebsversammlungen, betriebliche Diskussionsrunden, Streik, Betriebsbesetzungen, … Andere machen´s schon vor!
Krise 4: Was uns bevorsteht
In drei Texten hatten wir uns bisher mit der Krise beschäftigt (alle auf unserer Homepage): Der erste war ein einführender Abriss (auch für uns selber!), der zweite eine über die Methode, mit der man sich an das Thema theoretisch annähern und der dritte einer, wie man sich dieser Methode praktisch bedienen kann. Nun ein kleiner Versuch, das wiederzugeben, das uns den Horizont öffnet, diese Krise als unreformierbare kapitalistische Strukturkrise zu verstehen.
Überakkumulation – Unterkonsumtion – schuldenfinanzierter Konsum
Es gibt einen enormen Widerspruch zwischen Krisennachrichten und Krisenrealität. Bürgerliche Medien zitieren die immer gleichen PolitikerInnen und WirtschafterInnen, die sich auf immer gleiche Studien über die Weltwirtschaft beziehen. Wir erinnern uns: Das wichtigste »Gut« des Kapitalismus ist Vertrauen. Deshalb ist es politisch so essenziell, dass zB. der IWF oder die OECD Prognosen abliefern, die mit irgendwelchen Prozentzahlen das Bild einer Erholung und eines wieder aufgenommen Wachstumskurses malen. Das soll zu Investitionen und Aktienkäufen führen, das dann die Kreditwirtschaft und die Profitmacherei ankurbelt. Das jedoch passiert alles am »Finanzmarkt«. Investiert wird nicht in Warenproduktion (d. h. in Anlagen, Maschinen und vor allem Menschen, die diese herstellen), sondern in Wertpapiere, die größere und schnellere Profite versprechen. Aber die Investition in Wertpapiere und die Spekulation am »Finanzmarkt« ist schon die Krise. Wie das? Weil am Weltmarkt mit realen Waren wie Autos, Elektrogeräten oder Lebensmitteln kein Profit mehr zu erwirtschaften ist; weil das Betreiben von riesigen Fabriksanlagen nur rentabel ist, wenn auch massig produziert und abgesetzt wird. Der Industriesektor ist durchschnittlich zu 25 Prozent, die globale Transportkette ist zu 30 bis 35 Prozent und der Banken- und Finanzsektor zu mindestens 50 Prozent überakkumuliert. Damit einher geht die globale Unterkonsumtion: Diejenigen, die sich die produzierten Waren leisten können, haben bereits alle(s) und diejenigen, die´s gern hätten, können es nicht kaufen, weil das Kapital ihnen zu wenig Einkommen abgibt (zB. durch Löhne) oder sie zu wenig davon erkämpfen. Das unlösbare, nicht reformierbare Missverhältnis zwischen den global angehäuften Anlagen- und Maschinenparks, den ArbeiterInnen, den von ihnen produzierten Waren und den global ausbezahlten Löhnen führt zur – Überakkumulationskrise, deren Ausdruck die Quacksalberei über den »Finanzmarkt« und der »Finanzkrise« ist. Real ist die Krise nicht vorbei, der Absturz verlangsamt sich nur.
Der Punkt ist: Es gibt zu wenig Lohn um die produzierten Waren zu kaufen. Seit den 70ern wurde das durch eine Praxis gelöst, die man als »schuldenfinanzierten Konsum« begreifen kann, die die Wirtschaftsachse China-USA und damit die gesamte Weltwirtschaft bis jetzt vorm Zusammenbruch bewahrte. Die in China billig produzierten Waren wurden exportiert und auf Schulden von den »KonsumentInnen«, der globalen ArbeiterInnenklasse, konsumiert. Wenn der Lohn nicht mehr reichte, dann musste ein Privatkredit her, d. h.: Konsum auf Pump, und wenn die Dinge, die die Kredite besichern sollen, auch noch an Wert verlieren (zB. Häuser; die US-Immobilienblase platzte 2007), dann ist das der Auslöser (nicht die Ursache!) einer Krise nach der anderen, die in einer globalen münden und die ganze Gesellschaft, in der wir leben, in Frage stellen. Soweit das Allgemeinwissen seriöser Recherchen.
Schulden mit noch mehr Schulden bekämpfen
Jetzt passiert gerade folgendes: Die Abwrackprämien für Autos sind verbraucht – der Absatz an langlebigen Konsumgütern ist wieder rückläufig. Die Polit-KapitalistInnen schnüren also ein neues »Konjunkturpaket«, das die staatlichen Steuereinnahmen in die Taschen der privaten KapitalistInnen umleitet – in den USA heißt das zB. »cash for caulkers« (Geld zum Abdichten). Viele Häuser in den USA sind so schlecht gebaut, dass sie eine Menge an unnötiger Energie verbrauchen. Sie sollen nun »abgedichtet« werden. Auf zwei Jahre will die US-Regierung dafür 23 Mrd. US-Dollar springen lassen. JedeR HausbesitzerIn soll um die 2.000 bis 4.000 USD bekommen und dann nochmal was drauflegen. Ankurbeln soll das nicht nur die Bauwirtschaft, sondern auch den Privatkonsum, weil man energiesparender lebt, weniger für Energie zahlt und deshalb das Geld zB. in eine neue Waschmaschine stecken kann. Es gesellen sich ein paar Dollar mehr zur US-Neuverschuldung 2009, die laut Financial Times Deutschland vom Oktober umgerechnet 1,4 Billionen USD ausmacht (zehn Prozent vom US-BIP). Insgesamt (bisherige + neue Schulden) steht allein der Staat USA mit 13 Billionen USD in der Kreide, das sind 90 Prozent seines BIPs. Real wirkt sich das unter anderem so aus, dass jedeR siebte US-StaatsbürgerIn zeitweise hungert und bei 19 Millionen leer stehenden Häusern 3,5 Millionen Menschen obdachlos sind. Die Arbeitslosigkeit kletterte im September auf knapp 17 Prozent – doppelt so hoch wie 2007! In Detroit, der (ehemaligen) (Auto-)Industriestadt schlechthin (der Sitz der »Big Three«: General Motors, Ford, Chrysler), ist mittlerweile jedeR Zweite ohne Job – ist das die Zukunft des Autos, der Industrie, des Stadtlebens (die Diskussion um den Al-Qaida Terroristen soll wohl davon ablenken)?
Die zweitgrößte Volkswirtschaft nach den USA, Japan, befindet sich mit Haushaltsschulden in der Höhe von 227 Prozent des BIP knapp vorm Staatsbankrott. Der drittgrößten Volkswirtschaft China droht eine massive Immobilienkrise, was zu einer Bankenkrise führt, die wiederum Chinas Wirtschaft den Bach runter gehen lässt. Das heißt: Die drei größten Volkswirtschaften der Welt, die knapp die Hälfte des globalen BIP erwirtschaften, gehen derzeit vor die Hunde. Auch die Summe ihrer für Konjunkturpakete aufgewandten Beträge, drei Billionen USD weltweit, davon 55 Prozent (!) von China und USA, stehen in einem lächerlichen Verhältnis zum Wirkungsgrad für »Erholung« oder »Wachstum«; wobei letztere Begriffe als Indikatoren für soziale Verhältnisse nichts aussagen: »Erholung« oder »Wachstum« der Weltwirtschaft führen nicht zu besseren Lebensbedingungen der Menschen, es geht dabei nur um Erholung und Wachstum der Profite, des Kapitalismus.
Die Verschuldungskrise betrifft aber nicht nur Staaten (siehe zB. letztes Info, Nr. 46), sondern auch Privathaushalte, vor allem in den USA (nimmt man dort alle Schulden zusammen, dann sind das unglaubliche 350 Prozent des BIP!), Großbritannien, Spanien, Deutschland, Osteuropa, … alle haben Schulden! Und überall werden die Leute entlassen.
Die letzte ihrer Art?
Die Welt scheint völlig verrückt zu spielen. Nouriel Roubini warnte im November in einem Kommentar in der FTD vor einer »Monsterblase«, die die Federal Reserve (US-Notenbank) mit ihrer Geldpolitik erschaffe und einer »Massenpanik«, weil es »zum größten koordinierten Vermögenskollaps der Geschichte« kommen wird. Immanuel Wallerstein spricht von einer »Superdepression«, die auf uns zukommt. Der Dollar werde krachen und eine »enorme Zunahme der Arbeitslosigkeit« die Welt erschüttern. Das tut sie doch jetzt schon!
Tomasz Konicz weist in einem interessanten Text vom 30. November in der Jungen Welt auf die Krisenursachen hin und spricht von einer »letzten Spekulationsblase«, die aufgrund der astronomischen Staatsverschuldung platzen wird. Dabei ist diese letzte Blase viel größer als jene beim Dot.com Crash 2001 und die beim Immobiliencrash 2007. Es ist laut Gerald Celente, Direktor des US-amerikanischen Trends Research Institute, eine Bail-Out-Blase. Bail-Out bezeichnet die Schuldenübernahme maroder (Banken-, Versicherungs-, Automobil-, …)Konzerne und Firmen durch den Staat. Sollte diese (Staatsschulden-)Blase platzen, »wird man sie nicht erneut inflationieren können, weil die Regierungsintervention so tief reicht«.
Um das ganze Dilemma auch historisch zu verstehen und einzuordnen, bedient sich Konicz des Kondratjewschen Theoriegebäudes der langen Wellen. Das Kapital hat sich demnach in fünf Wellen bzw. Industrie- und Wachstumszyklen bis heute entwickelt: Dampfmaschine/Textil von 1780 bis 1849, Eisenbahn/Schwerindustrie 1840 bis 1890, Elektrotechnik und Chemie 1890 bis 1940, Einzweck-Automatisierung/Massenmotorisierung (zB. Auto) 1940 bis 1990. Von 1990 bis heute war die kapitalistische Basisinnovation und damit »Wachstum« bedingt durch die Informations- und Kommunikationstechnik (»IT-Branche«) – wobei wir uns nach Immanuel Wallerstein noch immer in der »viel länger« dauernden Abschwungphase des vierten Zyklus befinden (Strukturkrise durch Überakkumulation der Automobilindustrie!). Zusätzlich bringt der Anfang des fünften Zyklus keine neuen ausbeutbaren ArbeiterInnenheere hervor. Konicz: »Dem Massenheer der Industriearbeiterschaft folgt keines aus Programmierern, Informatikern oder Webdesignern.«
Deswegen stehen wir vor bzw. mitten in einer neuen Krise, die anders als ihre Vorläufer alles umwälzen wird. Er zitiert Karl Marx mit seinem Satz aus einer Vorarbeit zum Kapital, dass die Produktivkräfte mit den Produktionsverhältnissen in Widerspruch geraten und dann eine Epoche sozialer Revolution eintritt. Er vergisst dabei eines: Bis jetzt haben viele KämpferInnen, auch der beste unter ihnen, geglaubt, dass das Elend einer globalen Krise die Erdbevölkerung von der Revolte zur bewussten Revolutionierung der Gesellschaft kommen lässt. Das kann man jetzt auch glauben und das ist auch gut so: alle Leute, mit denen man ins Gespräch kommt, reden von einer »Zwischenzeit« oder von »Umbruchszeiten«, in denen wir uns befinden. Die Idee ist vorhanden, dass etwas Neues her muss! Die vielen sich ausbreitenden sozialen Kämpfe auf der Welt lassen alle Regierungen zittern und machen Lust auf Aktionen. Ein nicht weiter ausgeführter Geheimbericht des Innenministeriums in den Salzburger Nachrichten vom 8. Oktober über »Sabotageakte in einem Tiroler Kristallkonzern« liefert jedenfalls einen konkreten Anhaltspunkt, in welche Richtung die Lust gehen könnte – der Zeitpunkt ist günstig!
KRISE 5: “Detroit Text”
Der folgende Text benutzt eine kürzlich auf ARTE ausgestrahlte Dokumentation über Detroit, die Autoindustrie und die kapitalistische Krise als Aufhänger, um über »Krise« diskutieren zu können. In der Doku werden viele wichtige Fragen aufgeworfen: Ende des Stadtlebens, Ende der Industrie – Zukunft des (Elektro-)Autos, alternative Lebensformen (Subsistenz), usw. – und noch mehr verschwiegen: Macht der ArbeiterInnenklasse, historische Streikwellen und Errungenschaften der ArbeiterInnen, Bedürfnisse der ArbeiterInnen, wie kam es überhaupt zur Krise?, was heißt »Krise«?, …
Wir finden ihn so wichtig, dass wir damit ein Infobeisl machen werden. Zusätzlich wird jemand ein Referat halten, so dass wir dann gemeinsam über die Krise und unsere Zukunft diskutieren können!
Detroit: Motor City? Motor World? No fix ahead!
»General Motors, Ford, Chrysler. Sie waren der Fels, der niemals zerstört werden könnte – und jetzt, jetzt merken wir, dass es doch nicht so ist.«
Charles, Pfarrer aus Detroit
»Ich wollte immer etwas anderes machen als in einer Autofabrik zu arbeiten …«
Marvin, arbeitslos seit November 2009
1975 schreiben Peter Linebaugh und Bruno Ramirez in ihrem Artikel über die Krise in der Automobilindustrie, dass das Kapital sich die Frage stellt, ob der Kampfplatz gewechselt werden muss. Sie meinen damit vor allem die (Auto-)Industriestadt schlechthin: Detroit, Sitz von Ford, General Motors und Chrysler. »Wann wird Jefferson Avenue dichtmachen? Im Januar, im Juni oder nächstes Jahr? Wann kommt das Aus für Chrysler? Wann für Detroit?«
35 Jahre später erscheint eine Dokumentation darüber: Detroit – Zwischen Utopie und Untergang. In 75 Minuten wird über das Ende des Industriezeitalters und über das Ende eines Produkts diskutiert, das die kapitalistische Gesellschaft geprägt hat. Eine Aktivistin im Film sagt, dass Detroit den Menschen etwas mitzuteilen habe, denn die Stadt sei ein »nationales und internationales Symbol für die Wunder der Industrialisierung«.
Heute wissen wir, dass dieses »Wunder« an die Wand gefahren wurde, dass Chrysler und Detroit das »Aus« erreicht hat. Detroits Bevölkerung schrumpfte in den letzten 30 Jahren um mehr als die Hälfte – von den rund 2 Mio. Menschen in den 1960ern sind heute noch 900.000 übrig. Davon sind 49 Prozent arbeitslos. Chrysler wird heute von Fiat regiert und hat die letzten drei Jahre Milliarden an Steuergeldern verpulvert – nicht, um »Arbeitsplätze zu sichern«, sondern um zu versuchen, die Krise der Autoindustrie »produktiv« zu nutzen: Leute entlassen, Standorte schließen, die Produktion verdichten und optimieren. Chrysler, General Motors und Ford bauen heute weniger Modelle, dafür erhöhen sie die Stückzahlen – mit weniger ArbeiterInnen, die zu niedrigeren Löhnen arbeiten. Nur aus diesem Mix – Staatskohle, Kostensenkung, höhere Stückzahlen – können Autokonzerne noch am Leben gehalten werden (bei Daimler, Volkswagen oder Toyota ist das nicht anders). Dazu kommt ein Konzentrations- und Fusionsprozess, an dessen Ende höchstwahrscheinlich drei, vier internationale Fahrzeugbauer übrig bleiben – sofern sie nicht verstaatlicht werden und sofern wir nach dieser globalen Krise noch immer »Kapitalismus« haben.
Heavy Metal
Das Auto besteht zu großen Teilen aus Metall. Der Metallsektor ist der einzige, in dem die Produktionsmittel des Kapitalismus selbst hergestellt werden: die Maschinerie. Die produzierten Maschinen werden durch deren Anwendung konsumiert. Durch den Konsum werden neue Waren hergestellt – die meisten dauerhaften Konsumgüter bestehen aus Metall oder Metalllegierungen (Motoren, Schiffe, Eisenbahnen, Waschmaschine, Kühlschrank, Ofen, Herd, Heizung, …). Insofern haben die MetallarbeiterInnen eine zentrale Stellung in der Gesellschaft und ihre Kämpfe große politische Bedeutung.
Das zentrale dauerhafte Konsumgut aus Metall ist das Auto, weil in ihm viele Produktionsprozesse zusammen kommen und die Kooperation der ArbeiterInnen auf der am meisten fortgeschrittenen (internationalen) Stufenleiter stattfindet. Das Auto mit seinen vielen zusammengefügten Einzelteilen ist Träger einer großen Mehrwertmasse, die sich im Konsum realisiert. Zugleich ist das Auto nicht nur Konsumgut, sondern selbst wieder Produktionsmittel (Transport) und Kriegsgerät. Als solches war es das erste komplex zusammengesetzte Gut im Kapitalismus, das ausreichend hohe Produktionsziffern erreichte, so dass die KapitalistInnen damit immer mehr Profit und Macht anhäufen konnten. Damit konnten sie die Serienproduktion ausweiten, die Arbeit weiter mechanisieren und riesige Industrieanlagen rund um den Globus erbauen. Das ermöglichte es von Anfang an, Massen von ProletarierInnen vom Land in die Fabrik, in die Produktion einzuführen; zuerst aus dem Bezirk, dann aus der Region, dann aus anderen nördlichen Regionen und schließlich aus dem Süden. Dieser Prozess ist der Kampf um die Proletarisierung (Migration!) und gleichzeitig der Übergang von proletarischen Massen zur (Welt-)ArbeiterInnenklasse.
Motown Soul …
Genau diese Stellung im kapitalistischen Gefüge brachte den AutoarbeiterInnen in den 1930er Jahren einige Erfolge. Nachdem Militante im Dezember 1936 die Karrosseriewerke 1 und 2 von General Motors in Flint besetzten (Nähe Detroit, auch im Bundesstaat Michigan), musste der damals größte, finanzstärkste und am besten anti-gewerkschaftlich organisierte US-Industriekonzern nachgeben und den ArbeiterInnen Zugeständnisse machen – und das mitten in der »great depression« bei einem »Organisationsgrad« der ArbeiterInnen gegen Null! Der Erfolg der ArbeiterInnen löste eine US-weite Streikwelle aus und brachte die landesweite Organisierung ein – die United Auto Workers (UAW) etablierten sich als anerkannte Gewerkschaft.
In Detroit jedoch waren die Arbeitgeberverbände sehr stark. Das anti-gewerkschaftliche Klima war mitunter ein Grund, warum sich dort die US-Autoindustrie am Anfang des 20. Jahrhunderts ansiedelte und bis hinein in die 1980er blieb. Schon bald aber suchten sich die KapitalistInnen zusätzliche Orte für die Produktion, wo sie auf wenig ArbeiterInnenmilitanz hofften – vergeblich. Überall dort, wo das Kapital hinwanderte, entstanden neue, starke ArbeiterInnenklassen und stellten die als hochmodern und human angepriesenen Fabriken mit wilden Streiks in Frage. Kleines Beispiel: In Lordstown (Ohio) investierte GM im Jahre 1970 100 Mio. Dollar für eine ultramoderne Fabrik, an der »die Arbeiter sehr hängen werden«, so der Generaldirektor von Chevrolet. Gleich zwei Jahre nach dem Start der Produktion sabotierten und bestreikten die ArbeiterInnen die Fabrik.
Nach 1967 (»Detroit-Riot«) waren 1973/74 wichtige Jahre für die Motown-ArbeiterInnen. Wilde Streiks, geplante Abstinenz und Sabotage gegen erhöhte Bandgeschwindigkeiten, rassistische Vorarbeiter oder gegen die unglaublich gefährlichen Arbeitsbedingungen, die täglich (!) 65 Tote in den Autofabriken forderten, markierten eine neue Stufe des Klassenkampfs. In den Fabriken trat der unterschwellige Guerillakrieg offen zu Tage, »loyale Gewerkschafter« (Ku-Kux-Klan Leute!) verprügelten militante ArbeiterInnen und bedrohten sie mit Pistolen. Die wiederum antworteten mit eigener Bewaffnung – es war normal, mit einer Schusswaffe in die Werkshallen zu kommen. Auf einem Gewerkschafts-Treffen im River Rouge Komplex von Ford verhandelte man mit der Knarre in der Hand, wütende ArbeiterInnen rissen das Porträt von Walter Reuther, damals UAW-Präsident, von der Wand.
… goes global
Das Kapital wanderte aber nicht nur innerhalb der USA, es breitete sich international aus. Damit auch die Klassenkämpfe. Die Streikwellen in Detroit in den 1930er und 1970er Jahren, in Turin in den 1960er Jahren (Fiat!), in Sao Paolo (die »größte deutsche Industriestadt«: große Produktionsstandorte von VW und Daimler) und Ulsan (Südkorea – Hyundai!) in den 1980ern kann man als einen weltweiten Prozess von ArbeiterInnenmilitanz und kapitalistischer Antwort fassen.
Dafür liefert Beverly J. Silvers Buch Forces of Labor Material. Sie untersuchte insgesamt 91.947 Berichte von »Arbeiterunruhen« in 168 Ländern im Zeitraum von 1870 bis 1996. Anhand des zentralen Sektors im 20. Jahrhundert – der Automobilindustrie – zeichnet sie ein plastisches Bild von Klassenkampf und darauffolgender kapitalistischer Entwicklung. In kurzer Form erklärt: Das Kapital flüchtet vor den ArbeiterInnen und ihrer Macht. Bis heute wanderte es einmal um den ganzen Erdball. Solche Standortverlagerungen nennt sie »räumlichen fix«. Im 20. Jahrhundert flüchtete das Kapital sich aus der Leitindustrie des 19. Jahrhunderts, dem Textilsektor, in ein neues Produkt: ins Auto. Sie nennt dies »Produktfix«. Nach »1968ff.« folgte eine massenhafte Roboterisierung und Automatisierung. Silver fasst es als »technisch-organisatorischen fix«. Seit den 70ern flüchtet sich das Kapital zusätzlich in die Finanzsphäre – »finanzieller fix«.
Dabei ist das englische »fix« nicht zu übersetzen – to fix a problem bedeutet hier, dass das Kapital immer nur versuchen kann, das Problem zu lösen (etwa die ArbeiterInnenklasse fixieren) – kurzfristig mag das gelingen, langfristig kommt es zur Krise. Kapitalismus bedeutet dauernder Konflikt um Ausbeutungs- und Lebensbedingungen. So wie das beliebte Gaffer-Klebeband: Es hält Dinge für eine Zeit lang richtig fest zusammen ohne das echte Problem zu beheben.
Detroit Techno
Dem echten Problem des Kapitalismus wird in Detroit von zweierlei Seiten begegnet. Die Kapitalseite sieht die strahlende Zukunft im Elektroauto. Dazu forschen Ingenieure und Batterie-ExpertInnen bei General Motors. Sie versuchen, endlich eine Batterie zu entwickeln, die sich rechnet. In der Doku erfährt man eigentlich nichts. Hinter dem Gerede von »Wettbewerbsvorteil«, »radikalem Wandel der Autoindustrie«, »Leistungsfähigkeit« und »Kostensenkung« steckt die panische Angst vor fallenden Profitraten und die Unfähigkeit des Kapitals, damit umzugehen – es ist weit und breit kein fix in Sicht! Überdies, hinter der Diskussion um den Mangel an FacharbeiterInnen, die dann diese supermodernen Batterien in den Autofabriken herstellen sollen (»Kernkompetenz«), steckt die Lohndrückerei der KapitalistInnen. Niemand will mehr sein hart erworbenes Know-How (teure Ausbildung!) und seine Arbeitskraft zu dem Schleuderpreis verkaufen, den die Automultis zahlen! Dazu kommt ein realer Kostendruck, den wir zB. an den ganzen schlampig zusammengebauten neuen Autos spüren. Das ist der Kern der ganzen Krise: Überakkumulation. Das Kapital kann ihr nicht mehr mit »Wachstum« davonlaufen! Nur mit Schulden und dem Angriff auf die ArbeiterInnen – wie lange noch?
»Beim Auto kommen alle Krisen zusammen: Konjunkturabschwung, Strukturkrise, Produktkrise, Überkapazitäten, Rohstoffverknappung, Emissionsproblematik (Kohlenstoffdiooxid, Feinstaub, Benzol), Lärmbelästigung, Raumverbrauch (Straßen, Parkplätze), drohender Kollaps der Verkehrsströme und nicht zuletzt ›Überalterung‹ der Stammbelegschaften (u. a. die gewaltigen Rentenverpflichtungen der US-Autofirmen). Der Produktzyklus des Autos ist überschritten. Der Gebrauchswert des Autos an sich steht in Frage.«
Wildcat 83, Ende des Autos
Das Elektroauto ist mehr Propaganda. Es ist weder effizient (zwölf Stunden aufladen für 90 km fahren) oder kostengünstig (die Batterien sind teuer!), weder neu (im Jahr 1900 waren die Hälfte aller Autos in New York Elektroautos!) und schon gar nicht umweltschonend. Erstens muss der elektrische Strom in (meistens Kohle-)Kraftwerken erzeugt werden, zweitens sind Batteriefabriken wohl kaum »umweltfreundlich« und drittens meinen sie mit »strahlender Zukunft« wohl oder übel – Atomkraftwerke.
What the hell is communism?
Die ArbeiterInnenseite setzt dem den selbstorganisierten Anbau von Nahrungsmitteln entgegen. Zwischen verlassenen und kaputten Häusern liegen viele Flächen brach, die mittlerweile genutzt werden. »Karotten, Gurken, Paprika – wir haben eine ganze Menge Sachen!«, freut sich Myrtle, »Köchin und Stadtgärtnerin«. Die Frau ist richtig stolz auf ihre Koch-Rezepte, die die NachbarInnen jetzt auch haben wollen. Die Leute kommen (wieder) zusammen. Die Gärten sind soziale Treffpunkte geworden, die die Menschen verändern. »Sie fangen an, Einkaufszentren abzulösen«, stellt Gewerkschafter Richard fest.
Hierzulande kennt man die Theorie. Maria Mies, Veronika Bennholdt-Thomsen und Claudia von Werlhof, letztere an der Uni Innsbruck, forschen schon seit Jahrzehnten zur Subsistenz-Produktion, die sie als politische Alternative zur Gesellschaft des »kapitalistischen Patriarchats« propagieren. Sie nennen es »Subsistenzperspektive«. Detroit könnte ihren Ideen eine aktuelle materielle Grundlage verschaffen. Im Film jedoch wird daran Kritik geübt: »Detroits Weg führt aber kaum zurück in eine Agrargesellschaft. Die Region steckt voller Know-How.« Die Subsistenzperspektive widerspricht auch den alten revolutionären Forderungen nach der »Abschaffung der Arbeit« und nach dem »Reich der Freiheit«. Denn die SubsistenzperspektivlerInnen formulieren die Kritik an kapitalistischer Technik und produktiver Kooperation in eine Richtung, die den arbeitserleichternden Einsatz von Maschinen
»In der Seefahrt sind heute andere Kenntnisse erforderlich als jene, über die ein Segler einst verfügen musste. Viel davon ist in elektronischen Geräten und nautischen Unterlagen objektiviert; niemand könnte das eigenständig leisten. Obwohl viele auf die ›ganze Technik‹ schimpfen und ›einfacher leben‹ wollen, würde niemand ernsthaft das kollektive Wissen gegen das eines antiken Steuermanns eintauschen wollen.«
Wildcat 86, Can anyone say communism?
nicht zulassen will. Maria Mies zB. findet es im aktuellen Sammelband zu Karl Marx Über Marx hinaus gut, wenn in Kuba Traktoren durch Ochsen ersetzt werden. Mühsame Feldarbeit wird romantisiert, weil sie die Natur nicht durch giftige Abgase kaputt macht. Dass die Menschen dabei aber ihre Knochen und Muskeln kaputt machen, bleibt unerwähnt. Keine von beiden Möglichkeiten bietet eine wirklich revolutionäre »Lösung«. Da müssen wir uns schon mehr anstrengen, wenn wir Ideen zu einem »guten Kommunismus« sammeln wollen!
Den wunden Punkt finden!
Viel mächtiger sind Kämpfe wie bei Takata-Petri im Oktober in Aschaffenburg oder bei Daimler Sindelfingen im Dezember 2009, wo mit wilden Streiks Entscheidungen umgeworfen wurden, die von den KapitalistInnen vorher als »alternativlos« bezeichnet wurden. In Sindelfingen erreichten die ArbeiterInnen 1000 bis 1500 neue Arbeitsplätze als Ersatz für die Verlagerung der C-Klasse. Auch bei Takata-Petri, einem Autozulieferer, sollte alles verlagert werden. Aber aufgrund der strategischen Stellung der ArbeiterInnen im weltweiten Kapitalgefüge konnte die kleine Belegschaft von ca. 300 ArbeiterInnen ihre Forderungen durchsetzen. Wegen just-in-time-Produktion kam es zu einem erheblichen Ausfall bei BMW, Audi, Daimler sowie bei VW in Wolfsburg. Dort stoppte die Produktion und es entstand – »volkswirtschaftlicher Schaden«!
Um alles auf den wunden Punkt zu bringen: Wenn die ArbeiterInnen durch ihre Kämpfe in den zentralen Sektoren dem Kapital die Entwicklung aufzwingen, dass der ganze Erdball industrialisiert wird, scheiss-Arbeit durch Roboter ersetzt werden muss (dafür aber neue scheiss-Arbeit entsteht!) und dass das Kapital für weitere Profite in die Finanzsphäre »flüchten« muss, dann verändern sie die Welt. Die ArbeiterInnen haben das Kapital in die Krise getrieben. Hinter diese Erkenntnis können wir nicht zurück. Nur mit dieser Grundlage (der »Macht der ArbeiterInnen«) können wir ernsthaft über »Kommunismus« diskutieren.
Film:
Detroit – Zwischen Utopie und Untergang, 75 min., Roland May, Deutschland/USA 2010
Literatur:
* Romano Alquati: Kapital und Arbeiterklasse bei Fiat – ein Mittelpunkt im internationalen Zyklus
* Beverly J. Silver: Forces of Labor, Arbeiterbewegungen und Globalisierung seit 1870
* Marco Revelli: Schichtwechsel, Fiat und die Arbeiter(innen), in: TheKla 15
* Wildcat 83: Ende des Autos
* Wildcat 86: Hybridmotor oder Klassenkampf?
* Peter Linebaugh, Bruno Ramirez: Krise der US-Autoindustrie, in: TheKla 10 (Zerowork 1 & 2)
* Les Amis de 4 Millions de jeunes Travailleurs: Lordstown 72 oder General Motors Müh und Plag, in: TheKla 12
* Maria Mies: Hausfrauisierung, Globalisierung, Subsistenzperspektive, in: Karl-Heinz Roth, Marcel van der Linden (Hg.): Über Marx hinaus